Nachfolge Annibale Carracci

(Bologna 1560 – Rom 1609)

Skizze eines sich bückenden Bauern, um 1600

Feder in Braun, graubraun laviert auf grauviolett getöntem Papier, alt montiert, 22,8 x 16,8 cm

Unten auf dem Auflageblatt mit brauner Feder bez.: d'Annibale Caracci

Provenienz:

Giacomo Conte Durazzo, Genua; Sammlung Deiker (?); Else Lueder, Celle

GS 1129

Literatur:

Kat. Kassel 1930, S. 8, Nr. 48 (als Annibale Carracci); Oehler 1979, S. 9

Die grob ausgeführte Skizze eines sich bückenden, einfach gekleideten Mannes mit Schlapphut auf violett präpariertem Papier wurde 1939 gemeinsam mit den Kasseler Veronese-Zeichnungen aus Celler Privatbesitz erworben. Wie diese zeigt auch sie die für die Sammlung Durazzo charakteristische Montierung mit den aufgeklebten Randstreifen. Die alte Zuschreibung an Annibale Carracci (1560–1609) kann aufgrund der schlechten Qualität der Federzeichnung mit ihrer abrupten, unsicher und unmotiviert wirkenden Strichführung nicht überzeugen.[1]

Annibale Carracci hat sich mehrfach mit genrehaften Themen und den einfachen Menschen seiner Umgebung auseinandergesetzt. 1648 wurde eine Folge von 80 Zeichnungen kleiner Gewerbetreibender und Handwerker, die heute bis auf ein Blatt verloren sind, von Simon II Guillain (1618 – nach 1646) unter dem Titel „Diverse Figure al numero di ottanta. Disegnate di penna. Nell’hora di recreatione di Annibale Carracci“ nachgestochen.[2] Dargestellt ist jeweils ein Gewerbetreibender als Standfigur in Alltagstracht und mit den Requisiten seines Berufsstandes vor einer nur angedeuteten städtischen Umgebung. Die zahlreichen Kopien nach den verlorenen Originalzeichnungen, die sich in vielen Sammlungen erhalten haben, sprechen nach Catherine Loisel dafür, dass die Blätter im Umkreis Annibales ein beliebtes und häufig kopiertes Studienobjekt waren.[3] Während die Zeichnungen bislang in die frühe Bologneser Zeit Annibales, also um 1580, datiert wurden, hält Loisel ihre Entstehung während seines römischen Aufenthaltes für wahrscheinlicher.[4] Darüber hinaus werden Annibale und seinem Umfeld mehrere sorgfältig lavierte, in der Beleuchtung fein herausgearbeitete Zeichnungen mit Szenen aus dem Alltagsleben zugewiesen.[5] Von diesen Zeichnungen hebt sich das Kasseler Blatt in der Qualität der Ausführung sowie durch Schwächen in der Erzählweise deutlich ab. So bleibt etwa unklar, welche Tätigkeit der Dargestellte ausführt. Dennoch wird das Blatt in Bologna im Umfeld der Carracci entstanden sein.

[1] Lisa Oehler hatte in den 70er Jahren verschiedene Kollegen um ihre Meinung zur Zuschreibung des Blattes gebeten. Ihre Unterlagen enthalten folgende Einschätzungen: Philip Pouncey mündlich 1971: „nicht Annibale Carracci“; Janos Scholz mündlich: „Annibale Carracci“; Jutta Lauke: „entstanden in Bologna im unmittelbaren Umkreis der Carracci“; Keith Andrews mündlich Sept. 1972: „Annibale Carracci“. Lisa Oehler selbst hat die Zeichnung in Beziehung gesetzt zu einem Klebeband in München mit 120 Karikaturdarstellungen Annibale Carraccis.

[2] Marabottini 1966. Die einzige erhaltene Originalzeichnung befindet sich in der National Gallery in Edinburgh, Inv. Nr. 4784 (Kat. Oxford 1996, Nr. 52).

[3] Loisel 2004, S. 276, Nr. 616–684.

[4] Loisel 2004, S. 276.

[5] Häusliche Szene am Feuer, Feder in Schwarz, grau laviert, 27,1 x 19,1 cm (Auktionskat. Sotheby & Co. London 11.7.1972); Klistierszene, Feder in Braun, braun laviert, 31,1 x 22,4 cm, Darmstadt, Hessisches Landesmuseum, Inv. Nr. AE 1487 (Twiehaus 2005, Nr. 61); Häusliche Szene, Feder in Schwarz, grau und braun laviert, 29 x 23,3 cm, New York, Metropolitan Museum of Art, Inv. Nr. 1972.133.2 (Bean 1979, Nr. 95); Gruppe von Bettlern, Feder in Braun, braun laviert, 21 x 23,7 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 7214 (Loisel 2004, Nr. 15; das Blatt war ehemals Annibale zugeschrieben, wird nun aber von einem Teil der Forschung Ludovico Carracci zugeschrieben); Genreszenen mit einer Familie, die Waren zum Markt trägt, schwarze Kreide, Feder in Braun, graubraun laviert, 25,2 x 17,2 cm, Stockholm, Nationalmuseum, Inv. Nr. NM Anck. 126 (Bjurström/Loisel/Pilliod 2002, Nr. 1390).

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.03.2009