Federico Zuccari

(Sant’ Angelo in Vado um 1540 – Ancona 1609)

Christus heilt den Blinden, Entwurf für ein Gemälde im Dom von Orvieto, 1568

Graphit, Feder in Braun, grau laviert, weiß gehöht auf blauem Papier, 42,2 x 27,1 cm

Provenienz:

1972 Karl und Faber, München; Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17405

Literatur:

Auktionskat. Karl und Faber 30.11.–1.12.1972, Nr. 238

Im Zuge der Gegenreformation wurde das Innere des Domes zu Orvieto in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts grundlegend umgestaltet.[1] Ab 1555 errichtete man zunächst in den Kapellen des linken Seitenschiffes Altäre, die sukzessive mit großformatigen Altarbildern von Cesare Nebbia (um 1536 – um 1614), Girolamo Muziano (1528–1592), Nicolò Circignani (1524/1536?–1596) oder Federico Zuccari versehen wurden. Die Aufträge sind archivalisch gut dokumentiert. Laut Vertrag vom 14. November 1568[2] sollte Zuccari innerhalb von zwei Jahren für die zweite und fünfte Kapelle eine „Auferweckung des Sohnes der Witwe von Naim“ sowie eine „Heilung des Blinden“ liefern. Die Gemälde befinden sich heute im Museo dell’Opera del Duomo,[3] da zwischen 1877 und 1891 die gesamte manieristische und barocke Ausstattung aus dem Dom entfernt wurde.

Federico Zuccari, dem die Kasseler Zeichnung mit einem Entwurf zur „Heilung des Blinden“ zweifelsfrei zugeschrieben werden kann, bereitete seine Werke akribisch durch Zeichnungen vor.[4] Anhand der Entwürfe, die sich zur „Heilung des Blinden“ erhalten haben, kann seine Arbeitsweise gut nachvollzogen werden.

Zunächst widmete sich Zuccari der Gesamtanlage seiner Komposition. Der früheste bekannte Entwurf dazu ist vermutlich ein Blatt im Louvre[5] (Abb. 1): Im Zentrum des Geschehens steht Christus. Er legt dem Blinden, der vor ihm kniet, die heilende Hand auf die Augen. Aus der dichtgedrängten Menschenmenge hebt Zuccari die beiden Hauptpersonen geschickt hervor, indem er die Zuschauer halbkreisförmig rechts und links von ihnen anordnet, im Zentrum aber einen Ausblick in die Bildtiefe ermöglicht. Dieser Blick in die Tiefe wird noch verstärkt durch die Säule mit den Repoussoirfiguren am linken Blattrand.

Von dem ausgeführten Gemälde weicht die Pariser Zeichnung nur noch in Details ab – wie bei der Architektur im Hintergrund, dem Vorhang an der Säule, der in der Zeichnung noch fehlt oder in dem Verzicht auf die kniende Frau, die von der Figur in Rückenansicht am linken Blattrand in Partien überschnitten wird und die auf dem Gemälde fehlt. Weiter zeigt ein Vergleich mit dem Gemälde Veränderungen in der Draperie des Gewandes des Blinden sowie bei den Gesichtstypen.

Während Zuccari die Figuren im Vordergrund bereits recht detailliert ausarbeitete, wird die Zeichnung zum Hintergrund hin immer skizzenhafter. Dass es sich um ein frühes Stadium des Entwurfsprozesses handelt, dafür sprechen die zahlreichen Überschneidungen der Figuren im Hintergrund, die von der Architekturkulisse noch nicht ausgespart werden wie in der Kasseler Zeichnung.

Doch auch dieses Blatt wird noch am Beginn des Arbeitsprozesses entstanden sein. Darauf deutet die lockere Vorzeichnung in schwarzer Kreide hin, die die Figuren nur grob umreißt und zum Teil deutlich von den Federstrichen abweicht, sowie die auffällige Korrektur links oben. Zuccari hat dort die Säule oberhalb des Sockels weggeschnitten, ein neues Papier eingesetzt und einen Architekturprospekt anstelle der Säule eingefügt.

Derartige Korrekturen finden sich häufiger bei den Kompositionsstudien Zuccaris und seiner Werkstatt.[6] In diesem Fall verändert die neue Gestaltung des Hintergrundes die Wirkung des Entwurfes entscheidend. Vorder- und Hintergrund stehen nun einander unvermittelt gegenüber. Der Blick des Betrachters wird nicht mehr gezielt in die Tiefe geleitet, wodurch die Komposition an Spannung verliert. Dies wird der Grund gewesen sein, warum Zuccari diese Variante nicht weiterverfolgt hat, sondern mit den nachfolgenden Zeichnungen zur Gesamtkomposition im Ashmolean Museum in Oxford[7] (Abb. 2), im Jack S. Blanton Museum in Austin[8] (Abb. 3) und in der Hessischen Hausstiftung Museum Schloss Fasanerie[9] (Abb. 4) wieder zu seiner Ausgangskomposition zurückkehrte. Die Blätter haben überwiegend dasselbe Format und wurden vermutlich nicht mehr vom Meister selbst, sondern von Werkstattmitgliedern ausgeführt. Weiter haben sich zwei Kopien in Frankfurt[10] und in Paris[11] (Abb. 5) erhalten, die in der Qualität deutlich abfallen, bei denen die Architektur im Hintergrund aber bereits der ausgeführten Version näher ist, während die Figuren im Vordergrund noch dem ersten Entwurfsstadium entsprechen. Interessant ist eine qualitätvolle Detailstudie in schwarzer und roter Kreide, die James Mundy kürzlich publiziert hat.[12] Wie die meisten der Kopf- und Händestudien in Kreide von Federico Zuccari wurde sie vor dem lebenden Modell ausgeführt, nachdem die Komposition insgesamt festgelegt worden war. Hier gilt die Detailstudie dem wichtigsten Moment der Erzählung, dem Augenblick, in dem Christus seine Hand auf die Augen des Blinden legt. Äußerst präzise hat Zuccari das Gesicht des Blinden herausgearbeitet, bei dem es sich vermutlich um einen Mitarbeiter seiner Werkstatt handelt, denn der Kopf hat deutlichen Portraitcharakter. Darunter skizzierte er zweimal die Hände des Kranken. In einem Augenblick äußerster innerer Konzentration und Anspannung berühren sich die Fingerkuppen seiner Hände. Die Hand Christi hat Zuccari dagegen nur grob umrissen.

Es ist anzunehmen, dass Zuccari noch weitere Detailstudien zu dem Gemälde in Orvieto angefertigt hat. Wie von Mundy dargelegt, ging er ausgesprochen systematisch bei seinen Entwürfen vor. Diese systematische Arbeitsweise lässt sich auch anhand der verschiedenen Zeichnungen, die sich zur „Heilung des Blinden“ in Orvieto erhalten haben, gut belegen. Die zahlreichen Werkstattkopien seiner Entwurfszeichnungen werden dabei nicht nur für den Verkauf, sondern auch für seinen Werkstattfundus gedacht gewesen sein. Denn Zuccari griff in seinen Kompositionen immer wieder auf einmal entwickelte Figurentypen zurück. So übernahm er etwa die Rückenfigur mit Turban am linken Bildrand von dem Fresko mit der „Bekehrung Maria Magdalenas“, das er 1563 in Venedig für S. Francesco della Vigna geschaffen hat und zu dem sich ebenfalls diverse Studien erhalten haben.[13]

[1] Vgl. dazu auch im folgenden Testa 1990, S. 107–115.

[2] Fumi 1891, S. 416, Nr. CXCVIII.

[3] Heilung des Blinden, 4,21 x 2,59 m; Auferweckung des Sohnes der Witwe von Naim, 4,12 x 2,76 m (Garzelli 1972, Nr. 64, 66).

[4] Vgl. dazu Mundy 2005.

[5] Graphit, Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf braunem Papier, 41,5 x 28,2 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 4417 (Kat. Paris 1969, Nr. 66, Taf. 15).

[6] Vgl. etwa den Entwurf zur „Heilung des Sohnes der Witwe von Naim“, Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf braunem Papier, 47,1 x 27,2 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 4418. Dort wurde mit einem Messer im Zentrum ein dreieckiges Loch in das Blatt geschnitten und u. a. der Kopf Christi entfernt, der durch eine Variante ersetzt werden sollte.

[7] Oxford, Ashmolean Museum, Inv. Nr. P. II 750 (Kat. Paris 1969, S. 56). Das Blatt ist locker skizziert, folgt aber der Zeichnung des Louvre Inv. Nr. 4417.

[8] Feder in Braun, braun laviert und weiß gehöht auf braun präpariertem Papier, 39,4 x 27,3 cm, Austin, Blanton Museum of Art, University of Texas, The Suida-Manning Collection, Inv. Nr. 616.1999 (Bober 2001, Nr. 20; Mundy 2005, S. 178, Abb. 21). Das Blatt entspricht der Zeichnung des Louvre Inv. Nr. 4417, ist aber zögerlicher ausgeführt. Vermutlich handelt es sich um eine Werkstattkopie. Die Figur des Petrus ist quadriert.

[9] Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf bräunlichem Papier, Eichenzell, Hessische Hausstiftung Museum Schloss Fasanerie, ohne Inv. Nr.

[10] Feder in Braun, braun laviert und weiß gehöht, 48,3, x 28,5 cm, Frankfurt a. M., Städelsches Kunstinstitut, Inv. Nr. 4475 (Kat. Paris 1969, S. 56).

[11] 41,5 x 28,2 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 4526 (Kat. Paris 1969, S. 56).

[12] Schwarze und rote Kreide, 14 x 19 cm, New London, Connecticut, Lyman Art Museum, Inv. Nr. 1939.1 (Mundy 2005, S. 178, Abb. 20).

[13] Vgl. etwa Florenz, Uffizien, Inv. Nr. 98487 (Kat. Florenz 1966, Nr. 47); New Haven, Yale University Art Gallery, Everett V. Meeks, B. A. 1901, Fund 1965.9.15 (Kat. Milwaukee 1989/1990, Nr. 173); Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 11759; Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 4414.

Veröffentlicht am 08.09.2008

Letzte Aktualisierung am 15.08.2012

Abb. 1

Abb. 1

Federico Zuccari

Paris, Musée du Louvre, Inv.Nr. Inv. Nr. 4417

© bpk / RMN / Musée du Louvre

Veröffentlicht am 28.03.2009

Abb. 2

Abb. 2

Federico Zuccari

Oxford, Ashmolean Museum, Inv.Nr. Inv. Nr. P. II 750

© Oxford, Ashmolean Museum

Veröffentlicht am 20.01.2009

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 4

Abb. 4

Federico Zuccari

Eichenzell, Hessische Hausstiftung Museum Schloss Fasanerie, Inv.Nr. ohne Inv. Nr.

© Eichenzell, Hessische Hausstiftung Museum Schloss Fasanerie

Veröffentlicht am 08.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 5

Abb. 5

Federico Zuccari

Paris, Musée du Louvre, Inv.Nr. Inv. Nr. 4526

© Paris, Musée du Louvre

Veröffentlicht am 08.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 1


Abb. 2


Abb. 4


Abb. 5