Giovanni Balducci

(Florenz um 1550/60 – Neapel nach 1631)

Verschiedene figürliche Studien, um 1590

Feder in Braun, 19,7 x 14,7 cm

Rückseitig oben mittig mit brauner Feder bez.: Questa sara ... [unleserlich] aviso come quello: na: magnor / [von einer Hand des 18. Jahrhunderts] Battista Naldini

GS 1118

Literatur:

Lehmann 1986 (als Naldini), Abb. auf dem Vorsatz (Ausschnitt)

Die skizzenhaft angelegte, bislang unpublizierte Federzeichnung, die möglicherweise aus der Sammlung der Landgrafen von Hessen-Kassel stammt,[1] gibt in vielerlei Hinsicht Rätsel auf. So konnte die rückseitige Beschriftung bislang weder eindeutig entziffert noch inhaltlich gedeutet werden. Sicher ist nur, dass sie von zwei verschiedenen Händen stammt. Der Zusatz „Battista Naldini“ wurde später, vermutlich von einer Hand des 18. Jahrhunderts, hinzugefügt. Dass die Schrift rechts vom Blattrand abgeschnitten ist, deutet darauf hin, dass das Blatt zumindest am linken Bildrand beschnitten wurde.

Aufgrund von Recherchen, die Lisa Oehler in den 1960er Jahren unternahm, wird das Blatt heute nicht mehr dem Florentiner Maler Giovanni Battista Naldini (um 1537–1591) zugeschrieben, sondern seinem Schüler und engen Mitarbeiter Giovanni Balducci. Wie unabhängig voneinander Philipp Pouncey[2] und Keith K. Andrew[3] festgestellt haben, steht das Blatt Balducci stilistisch und auch vom Figurenrepertoire sehr nahe.

Doch was ist überhaupt dargestellt auf der nach oben hin immer zarter und undeutlicher werdenden Federzeichnung? Im Vordergrund hat Balducci noch sorgfältig mit breiteren dunklen Federstrichen zwei Frauen skizziert, die sich, in komplizierten Drehbewegungen begriffen, auf einigen Stufen niedergelassen haben. Die eine der beiden Frauen hält einen Säugling auf ihrem Schoß. Links davon ist bereits wesentlich flüchtiger ein Mann wiedergegeben, der sich hinunterbeugt, um einen nicht identifizierbaren Gegenstand, möglicherweise ein Gefäß, emporzuheben.

Derartige Figuren sind eher unspezifisch und wurden von Balducci und seinen Florentiner Malerkollegen häufig als Vordergrundmotive eingesetzt. In sehr ähnlicher Haltung, wenn auch räumlich weiter auseinandergezogen, erscheinen etwa die beiden Frauen auf dem „Tempelgang Mariae“, den Naldini in Zusammenarbeit mit Balducci um 1590 für den Dom zu Volterra anfertigte.[4] Abgesehen von diesen beiden Figuren gibt es keine Übereinstimmungen zwischen der Kasseler Zeichnung und dem Gemälde in Volterra.

Wie bereits Lisa Oehler festgestellt hat, widmete Balducci der gebeugten Gestalt am linken Bildrand noch eine weiter in der Haltung nur geringfügig variierte Detailstudie.[5] Auch der Gebeugte taucht immer wieder leicht verändert in Zeichnungen und Gemälden Balduccis auf.[6]

Spezifischer erscheint dagegen das Motiv unmittelbar über dem Gebeugten. Schemenhaft ist dort ein Tisch zu erkennen, um den sich drei Personen versammelt haben, von denen eine steht und mit der linken Hand auf etwas weist. Darüber könnte dieses Motiv noch einmal wiederholt worden sein. Diese Skizze ist jedoch so zart und flüchtig ausgeführt, dass die Darstellung nicht mehr mit Sicherheit zu bestimmen ist.

Die um einen Tisch versammelten Personen könnten dafür sprechen, dass es sich um erste Ideenskizzen für eine Hochzeit zu Kanaan handelt. So ist etwa auf dem detailliert ausgeführten Entwurf zu diesem Thema in Privatbesitz[7] ein vergleichbarer, vom linken Bildrand überschnittener Tisch dargestellt. An den rechten Bildrand versetzt taucht dort auch der Niedergebeugte wieder auf. Oberhalb dieser Szene eilt ein Bediensteter herbei, der eine Karaffe geschultert hat. Er könnte sein Pendant in der im Zentrum des Kasseler Blattes grob umrissenen Figur haben, die gleichfalls ein Gefäß auf der Schulter zu tragen scheint. Horizontale Linien mit schrägen Schraffen darüber deuten Treppenstufen an, durch die der Raum ähnlich wie in dem Entwurf aus Privatbesitz in verschiedene Zonen gegliedert werden sollte. Zart deutet Balducci im oberen Bereich der Zeichnung eine Architektur an.

[1] Das Blatt wurde von Lisa Oehler unter dem Titel „Bethlemitischer Kindermord“ als „alter Bestand“ gemeinsam mit anderen Zeichnungen inventarisiert, die aus den sog. Wilhelmshöher Kästen stammen. Diese Kästen wurden dem neugegründeten Kasseler Kupferstichkabinett zu seiner Gründung im Jahr 1931 von der Schlösserverwaltung aus der Bibliothek im Schloß Wilhelmshöhe übergeben. Vgl. dazu Lukatis 2000, S. 9.

[2] Mündlich am 14.04.1971 an Lisa Oehler.

[3] Brief vom 07.02.1962 an Lisa Oehler.

[4] Turner 2001, S. 73, Abb. 25A.

[5] Schwarze Kreide, weiß gehöht, 19,4 x 12,6 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 21183 (Viatte 1988, Nr. 35 mit Abb.).

[6] Vgl.: Hochzeit zu Kanaan, schwarze Kreide, Feder in Braun, braun laviert, 35 x 27,3 cm, Privatbesitz (Kat. Seattle 1991, Nr. 4 mit Abb.) oder seitenverkehrt: Tempelgang Mariae, schwarze Kreide, weiß gehöht auf blauem Papier, 27,2 x 16,7 cm, Wien, Albertina, Inv. Nr. 590 (Birke/Kertész 1992–1997, Bd. 1, S. 321f. mit Abb.).

[7] Kat. Seattle 1991, Nr. 4.

Veröffentlicht am 06.09.2008

Letzte Aktualisierung am 13.08.2009

verso

Rückseite GS 1118

verso