Unbekannt


Skizze eines Brunnens mit Einhorn und eines Ornaments, um 1580

Schwarze Kreide, Feder in Braun auf gebräuntem Papier, mittig gefaltet, 42,5 x 28,3 cm

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17151

Literatur:

unpubliziert

Das qualitativ nicht sehr hochstehende, ikonographisch aber ausgesprochen interessante Skizzenblatt, das bislang dem Florentiner Santo di Tito (1536–1603) zugeschrieben war, wirft etliche Fragen auf, die derzeit ohne Antwort bleiben müssen. Vom Aufbau her erinnert es an eine Doppelseite aus einem Skizzenbuch, bei dem jede Blatthälfte als selbständiges Bildfeld benutzt wurde. Da aber keine Hinweise auf eine Bindung vorhanden sind, wird es sich um ein Einzelblatt handeln, auf dem der Zeichner Gesehenes oder eigene Entwurfsideen für seinen Motivfundus festgehalten hat.

Auf der linken Blattseite ist hochkant ein Ornamententwurf dargestellt. Im unteren Bereich besteht er aus einem ovalen, von einem Drachenflügel flankierten Medaillon, in das verschiedene, zum Teil obszöne Gestalten eingelassen sind. Das Zentrum bildet eine Flussgöttin, die in ein kleineres Oval eingepasst ist. Sie trägt zwei Gefäße unter den Armen, aus denen Wasser quillt. Auf dem inneren Oval macht ein nackter Mann eine Kerze und streckt dabei die Beine zum Spagat aus, so dass er dem Betrachter sein Hinterteil entgegenstreckt. Darüber befindet sich ein stilisierter Brustschild, wie er in der Florentiner Ornamentik des Manierismus häufiger auftaucht. Möglicherweise handelt es sich um einen Entwurf oder ein „ricordo“ für eine Baudekoration.

Auf der rechten Blatthälfte ist im Querformat eine Jungfrau im antikisierenden Gewand dargestellt, die vor einer grottenartigen Felsennische sitzt und auf eine Tafel schreibt, die sie in ihrer linken Hand hält. Rechts daneben steht ein Einhorn, das sein Horn in ein Wasserbecken taucht, um dieses zu entgiften. Die kleine architektonische Skizze hinter dem Einhorn scheint in keinem Zusammenhang mit der Szene davor zu stehen.

Die Darstellung des Einhorns, das mit seinem Horn Wasser entgiftet, lässt sich auf die griechische Abschrift des „Physiologus“ aus dem 14. Jahrhundert zurückführen. Danach gibt es „ein Tier, das sogenannte monokeros. In jener Gegend ist ein großer See, und es kommen die Tiere zusammen, um zu trinken. Noch ehe sich die Tiere versammelt haben, kommt die Schlange und wirft ihren Saft in das Wasser. Wenn die Tiere nun das Gift bemerken, wagen sie nicht zu trinken, sondern warten auf das monokeros. Es kommt und steigt sogleich in den See, schlägt mit seinem Horn ein Kreuz und läßt so die Kraft des Giftes schwinden, und da es von dem Wasser trinkt, trinken auch alle jene Tiere.“[1]

In der italienischen Kunst taucht die Entgiftungsszene nicht nur auf Emblemen und Divisen etwa der Familie d’Este seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auf, sondern sie wurde auch in Gartenanlagen des 16. Jahrhunderts thematisiert.[2] So finden sich um 1555 im Giardino grande von Caprarola Einhörner, denen Tritonen Wasserbecken reichen. Zum Garten der Villa di Castello, die unter Cosimo I. de’ Medici in der Nähe von Florenz von Niccolò Tribolo (1500–1550), begonnen und von Benedetto Varchi (1503–1565) erweitert wurde, gehört eine Grotte, in der diese Szene mit einem großen Aufgebot an Tieren wiedergegeben wird.[3]

Auch die Skizze auf der Kasseler Zeichnung lässt durch die grottenartige Nische, vor der sich die schreibende Jungfrau niedergelassen hat, zunächst vermuten, dass sich die Zeichnung auf die Gestaltung eines Gartens bezieht. Rätselhaft ist nach wie vor die Bedeutung der schreibenden Frau. Zwar wird das Einhorn häufig mit einer Jungfrau dargestellt, da der Legende nach nur eine Jungfrau das Tier fangen konnte. „Es berge“, so berichtet der Physiologus, „seinen Kopf in ihrem Schoß und werde zahm.“ In dieser Weise wurde die Gefangennahme des Einhorns stets dargestellt. Vereinzelt taucht das Einhorn auch mit allegorischen Frauengestalten auf. Im Zentrum einer Entwurfszeichnung von Federico Zuccari (um 1540–1609) mit einer Allegorie des Frühlings für die Decke des Studiolos seines Florentiner Wohnhauses findet sich etwa ein Brunnen mit einer Jungfrau, die auf einem Einhorn reitet.[4]

Interessant ist der Fund einer bislang unpublizierten Kleinbronze des Londoner Victoria & Albert Museum (Abb. 1),[5] die im Aufbau mit unserer Zeichnung übereinstimmt. Nur in den Details sind Veränderungen zu konstatieren. So wurde die Grotte durch eine niedrige Mauer ersetzt, die die Szene hinterfängt. Die Haltung der Jungfrau und ihre Kleidung variiert geringfügig und das Wasserbecken wurde ausgetauscht. Für die Bedeutung der Gruppe könnte ein Detail von Interesse sein, das in der Zeichnung nur angedeutet, bei der Bronze aber deutlich erkennbar ist: Der lange Zopf der Jungfrau reicht bis in das Wasserbecken hinein. Dies könnte darauf hinweisen, dass sie über ähnliche Kräfte verfügt wie das Einhorn. Wer die rätselhafte Jungfrau jedoch ist, wird erst geklärt sein, wenn die literarische Quelle für diese ungewöhnliche Darstellung gefunden wurde.

Unklar ist nach wie vor auch die Beziehung der Zeichnung zur Kleinskulptur. Die Abweichungen in den Details sprechen dafür, dass beide auf eine gemeinsame Quelle zurückzuführen sind, die der Zeichner genauer wiedergegeben zu haben scheint, während der Bildhauer sie freier variierte. Die Andeutung einer Grotte hinter der Frau könnte dafür sprechen, dass es sich um eine Gartenskulptur gehandelt hat, die bislang nicht nachgewiesen werden konnte. Der Stil des Ornamententwurfs legt eine Entstehung in Florenz nahe, wo das Motiv der Wasserentgiftung im Umkreis der Medici häufiger dargestellt wurde.

[1] Zit. nach Einhorn 1998, S. 72; vgl. auch Chatelet-Lange 1968, S. 53.

[2] Einhorn 1998, S. 341–343.

[3] Chatelet-Lange 1968.

[4] Rom, Istituto Nazionale per la Grafica, Inv. Nr. FD. 126126 (Kat. Rom 1995, Nr. 9).

[5] Höhe 21,5 cm, Länge 35 cm, London, Victoria & Albert Museum, Inv. Nr. A. 114-1956. Die Skulptur ist inventarisiert als norditalienisch, 1. Hälfte des 16. Jhs. In einem handschriftlichen Zusatz auf der Inventarkarte vermutet Anthony Radcliffe, daß es sich um eine Este-Allegorie handeln könne. Ich danke Peta Motture, London, für ihre freundlichen Auskünfte.

Veröffentlicht am 06.09.2008

Letzte Aktualisierung am 07.09.2008

Abb. 1

Abb. 1

Unbekannt

London, Victoria & Albert Museum, Inv.Nr. Inv. Nr. A 114-1956

© London, Victoria & Albert Museum

Veröffentlicht am 07.09.2008

Letzte Aktualisierung am 28.03.2009

Abb. 1