Kopie nach Giorgio Vasari

(Arezzo 1511 – Florenz 1574)

Die dritte Hore des Tages; rückseitig Kopie der Venus Medici, um 1570

Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf blauem Papier; verso schwarze Kreide, weiß gehöht, 28,3 x 18,8 cm

Auf Vorder- und Rückseite div. Beschriftungen von der Hand des Pieter Jacobsz. Roman sowie unterschiedliche Paginierungen

Provenienz:

Pieter Jacobsz. Roman; Wilhelm VIII. Landgraf von Hessen-Kassel

GS 9628

Literatur:

Cecchi 1978, S. 53–54, Abb. 1; Nesselrath 1987, S. 212, Taf. 59c (verso)

Im Herbst 1541 reiste Vasari von Florenz nach Venedig, um im Auftrag einer Compagnia della Calza, einer Vereinigung vornehmer junger Männer, wie sie in Venedig seit dem 15. Jahrhundert üblich waren, die Dekorationen für die Aufführung einer Komödie von Pietro Aretino (1492–1526) zum Karneval des Jahres 1542 anzufertigen. Das Programm des aufwendigen „apparato“ überliefern schriftliche Zeugnisse von Vasari sowie einige Zeichnungen.[1] Danach waren für den Plafond des Saales großformatige allegorische Darstellungen der vier Tageszeiten vorgesehen, die von den 24 Horen umgeben waren. Zur Deckengestaltung hat sich eine Entwurfszeichnung zur 4. Stunde in Düsseldorf erhalten.[2]

Alessandro Cecchi, der das Kasseler Blatt 1978 erstmals publizierte und es noch Vasari selbst zuschrieb, vermutete bereits eine Beziehung zum Auftrag der venezianischen Compagnia.[3] Zeigt der Entwurf für die 4. Stunde in Düsseldorf eine vergleichbare Frauengestalt mit einem Quadrat und einer Sonnenuhr, deren Zeiger auf der Ziffer „IIII“ steht, so weist in Kassel der Triangel auf die 3. Stunde hin.[4] Auch entsprechen die beiden Zeichnungen weitgehend der Beschreibung der Decke, die Vasari im Februar 1542 brieflich Ottaviano de’ Medici übermittelte: „Zwischen den 4 Bildern [mit den Darstellungen der Tageszeiten] waren […] die 24 Horen dargestellt, die Chronos, dargestellt auf einem Bilde, in 24 trennte. Diese waren eine jede als die Stunde ausgewiesen, die sie darstellte und zwar durch die mit Flügeln und der Uhrzeit aufgeputzte Haartracht, vielfältig variiert. Das Vorangehen der Zeit drückte sich in der Haartracht aus, so daß die zwölfte Stunde Chronos umarmte, zum Zeichen dafür, daß sie vergangen war.“[5]

Wie die starre, zögerliche Strichführung des Kasseler Blattes belegt, handelt es sich nicht um ein Original, sondern um eine Kopie nach einer verlorenen Zeichnung Vasaris. Diese Kopie muss allerdings im unmittelbaren Umfeld des Meisters entstanden sein, denn die Rückseite des Blattes gibt eine Venusstatue aus Gips wieder, die in der Sala del Camino des Wohnhauses von Vasari in Arezzo aufgestellt war.[6] Bei der Kopie handelte es sich um eine ergänzte Nachbildung der berühmten antiken Marmorskulptur aus dem Besitz der Medici, der sog. Venus Medici. Nach Herbert Keutner komplettierte Bartolomeo Ammanati (1511–1592) den originalen Torso durch Kopf und Füße und fertigte in diesem Zusammenhang als Modell die Gipsfigur an. 1559 schuf er darüber hinaus im Auftrag von Cosimo I. eine Bronze nach der Venus Medici. Wann der Gips ausgeführt wurde und zu welcher Zeit er in den Besitz Vasaris gelangte, konnte bislang nicht eindeutig geklärt werden. Die Wiedergabe der Statue auf der Rückseite der Kasseler Zeichnung spricht aber dafür, dass die Zeichnung von einem Werkstattmitglied angefertigt wurde, das Zugang zum Wohnhaus Vasaris und zu seinem zeichnerischen Fundus hatte.

Zu der Darstellung der 3. Stunde auf der Vorderseite haben sich drei weitere, in den Details leicht abweichende Kopien erhalten, von denen die eine auf dem Spiegel mit einer römischen „III“ versehen ist, was nochmals ihre Interpretation als Allegorie der 3. Stunde bestätigt.[7] Von der älteren Forschung wurden diese Kopien dagegen noch als Darstellungen der Prudentia aufgefasst – mit dem Spiegel als Zeichen der Klugheit und dem Triangel als Zeichen der Messbarkeit.

Wie eine weitere Kopie nach Vasari von derselben Hand (GS 9629) stammt auch das vorliegende Blatt aus dem sog. Codex Fol. A 45, einem Sammelband mit Architekturzeichnungen, Abschriften aus Architekturtraktaten und Nachzeichnungen des 16. Jahrhunderts, den Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel von dem niederländischen Architekten Jacob Pietersz. Roman (1676 – nach 1733) als Geschenk erhielt, der die einzelnen Blätter mit zahlreichen Kommentaren versah.[8] Auch die Beschriftungen auf diesem Blatt stammen von seiner Hand. Vermutlich war er es, der am Ende des Codex einige Zeichnungen auf dem Falz hinzufügte, darunter auch die beiden Vasari-Kopien auf fol. 77 und 78, die sich inhaltlich von dem eigentlichen Band abheben. Wie Roman in den Besitz der Vasari-Kopien kam, ist bislang unbekannt.

[1] Vgl. auch im Folgenden Schulz 1961.

[2] Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht, auf blaugrünem Papier, 18,8 x 17,6 cm, Düsseldorf, museum kunst palast, Graphische Sammlung, Inv. Nr. FP 6422 (Kat. Düsseldorf 1969/1970, Nr. 14). Florian Härb hat mir freundlicherweise Ausschnitte aus der Katalognummer zu dem Düsseldorfer Blatt aus seinem unpublizierten Werkverzeichnis der Vasari-Zeichnungen zur Verfügung gestellt. – Einen Entwurf zur 19. Stunde, der 1975 im Kunsthandel angeboten wurde, publizierte Clifford 1975, S. 319, Abb. 52.

[3] Cecchi 1978, S. 54.

[4] Die Horen wurden häufiger durch geometrische Figuren versinnbildlicht. Vgl. etwa den Entwurf Vasaris für die Decke der „Terrazzo di Saturno“ des Palazzo Vecchio in Florenz, wo die 3. Stunde gleichfalls mit Triangel dargestellt ist; Uffizien, Inv. Nr. 7 Orn. (Kat. Florenz 1964, Nr. 91, dort noch als Stradanus; diese Zuschreibung wurde revidiert von Vitzthum 1963, S. 60; vgl. dazu auch Cecchi 1978, S. 54).

[5] Frey 1923–1940, Bd. 1, S. 113; Kat. Düsseldorf 1969/1970, S. 22.

[6] Zu der Figur vgl. auch im Folgenden Kat. Arezzo 1981/1982, Nr. 8.

[7] Es handelt sich um folgende Blätter: Feder in Grau, grau laviert, weiß gehöht, 22 x 19,4 cm, Windsor Castle, Inv. Nr. 5095 (Popham/Wilde 1949, Nr. 1002); Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht, 23 x 18,7 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 8760 (Monbeig-Goguel 1972, Nr. 349; vgl. dazu auch Cecchi 1978, S. 60, Anm. 6). Das dritte Blatt wurde 1975 bei Finarte in Mailand auktioniert (Auktionskat. Finarte 21.–22.4.1975, Nr. 44; Davis 1980, S. 197, Abb. 28, S. 176, Anm. 211).

[8] Zum Codex Fol. A 45 vgl. Günther 1988, S. 354–373.

Veröffentlicht am 06.09.2008

Letzte Aktualisierung am 14.08.2009

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Rückseite GS 9628

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