Paolo Veronese

(Verona 1528 – Venedig 1588)

Studie zum „Gastmahl im Haus des Levi“, zum Löwen von S. Marco und zu einem noch nicht identifizierten Gemälde, 1571

Graphit, Pinsel in Schwarz, grau laviert auf Papier, alt montiert, 30,8 x 20,9 cm (die beiden oberen Ecken sowie ein breiter Schrägstreifen unten fehlen)

In der Darstellung mit brauner Feder bez.: ride / fachirri / chines

Provenienz:

Giacomo Conte Durazzo, Genua; Else Lueder, Celle

GS 1122

Literatur:

Oehler 1953, Abb. 2; Degenhart 1955, S. 207; Oehler 1979, S. 9; Cocke 1984, S. 166, 218, Anm. 3, Nr. 69, Abb. 69; Coutts 1986, S. 403, Nr. 69; Crosato Larcher 1986, S. 253 (nicht Veronese); Kat. Venedig 1988, S. 61–62, Nr. 17, Abb. 17; Nepi Scirè 1988, S. 8, Abb. 75; Priever 1993, S. 93, 96, Abb. 6; Kat. Kassel 2000, S. 28, Nr. 6, Abb. S. 29

Veronese war ein Meister der spannungsvollen, lebendigen Organisation von figurenreichen Kompositionen. Viele seiner Federskizzen erproben die rhythmische Reihung der Protagonisten, deren Beziehungsgeflecht der Maler auf seinen Gemälden durch kleine Gesten oder Wendungen subtil zu veranschaulichen verstand. Diese überlegte Strukturierung der Personen lässt vermuten, dass Veronese gerade seine großformatigen Gemälde mit umfangreichem figürlichem Aufgebot minuziös durch Zeichnungen vorbereitete, von denen sich nur wenige erhalten haben. So ist das vorliegende Skizzenblatt die einzige bekannte, sicher zuschreibbare Figurenstudie zum „Gastmahl im Hause des Levi“.[1]

1571 erhielt Veronese den Auftrag, ein „Abendmahl“ für das Refektorium des Dominikanerkonvents SS. Giovanni e Paolo auszuführen.[2] Wegen der zahlreichen Nebenfiguren, mit denen er das „Abendmahl“ erzählerisch ausschmückte, um das enorme Format bewältigen zu können, musste sich der Maler zwei Jahre später vor der Inquisition verantworten und das Thema des Gemäldes in das „Gastmahl im Hause des Levi“ nach Lukas 5, 27–32 umbenennen, bei dem die lebhaft agierenden Diener und Assistenzfiguren keinen Anstoß erregten.

Die Kasseler Zeichnung setzt sich im oberen Bereich mit einzelnen Figuren des „Gastmahls“ auseinander. Es dreht sich also in diesem Fall nicht um die Anordnung der Figuren insgesamt, der Veronese andere, nicht mehr erhaltene Zeichnungen gewidmet haben wird, sondern um das Studium von figürlichen Details, die zum Teil in leicht veränderter Form in das Gemälde einflossen. So taucht etwa der Page links oben in der Zeichnung, dem ein anderer Diener Wein in eine Schale füllt, im Gemälde in anderem Kontext wieder auf, nicht mehr rechts, sondern links der Säule und mit anderen Begleitfiguren im Hintergrund. Die Rückenfigur mit den ausgebreiteten Armen findet sich im Gemälde in derselben Arkade wieder, während der Page mit der erhobenen Weinkaraffe, der in der Zeichnung zweimal wiederholt wird, als Rückenfigur in der dritten Arkade erscheint. In diesem Feld begegnet uns auch der Junge wieder, der seine Karaffe gerade auf die Brüstung stellt, allerdings ohne die Rückenfigur dahinter. Während die linke der Skizzen die beiden Figuren genau erfasst und der Zeichnung durch die Lavierung Festigkeit verleiht, deuten bei den anderen Skizzen zahlreiche Korrekturen vor allen bei der Drehung der Köpfe darauf hin, dass der Entwurfsprozess noch lange nicht abgeschlossen war. Das mehrfach skizzierte Gebälk über den Figurenstudien scheint sich auf die kleine Ordnung der Arkadenreihe zu beziehen.

Im Gegensatz zu den oberen Figurenstudien wird die Funktion der darunter wiedergegebenen kleinfigurigen Szenen in der Forschung nach wie vor kontrovers diskutiert. So vermutete Richard Cocke, dass sich auch diese Entwürfe auf das „Gastmahl im Hause des Levi“ beziehen. Seiner Meinung nach habe Veronese ursprünglich kein „Abendmahl“, sondern das „Gastmahl im Hause des Simon“ darstellen wollen und dafür auf der Kasseler Skizze erste Entwürfe geliefert. Die hockende, mehrfach wiederholte Figur soll danach Maria Magdalena darstellen, die niederkniet, um Christi Füße zu waschen.[3]

Die Anordnung der Figuren auf Bänken zu Seiten einer erhöht thronenden Figur, die zusätzlich durch eine Art Rahmen, einen Baldachin oder eine hohe Sessellehne, hervorgehoben wird, erinnert dagegen eher, wie bereits Coutts[4] hervorgehoben hat, an Historienbilder des Dogenpalastes, etwa an Darstellungen venezianischer Ratsversammlungen, wo der Doge häufig durch einen Baldachin ausgezeichnet wurde und zuweilen auch erhöht über den anderen Ratsmitgliedern thronte. William R. Rearick[5] hat deshalb die Skizzen auf das Gemälde „Die Persische Botschaft“ von Carlo Caliari (1570–1596) in der Sala delle Quattro Porte im Dogenpalast bezogen. Von zahlreichen Persern mit Turbanen umgeben, thront dort der Doge vor einem Baldachin. In Anlehnung an Carlo Ridolfi (1594–1658) identifizierte Rearick den dargestellten Dogen mit Pasquale Cicogna, der von 1585 bis 1595 regierte. Wie Wolters nachweisen konnte, unterlief Ridolfi jedoch ein Fehler. Dargestellt ist ein Ereignis, das erst nach dem Tod von Veronese stattfand, nämlich der Besuch des persischen Botschafters Fethi Bai, der 1603 dem Dogen neben anderen kostbaren Geschenken auch einen Teppich überreichte.[6] Gemälde und Zeichnung können deshalb in keinerlei Zusammenhang zueinander stehen. Die Ähnlichkeiten in der Komposition sind wohl eher dadurch zu erklären, dass die Heredes Pauli in ihren Gemälden grundsätzlich auf Entwürfen und Kompositionsschemata von Veronese aufbauten. Auf welches historische Ereignis sich die Skizzen wirklich beziehen, muss nach wie vor im Dunkeln bleiben. Wolters erwähnt eine Quelle, nach der bereits 1587 der Empfang einer japanischen Botschaft, die zwei Jahre zuvor stattgefunden hatte, in der Sala del Senato dargestellt werden sollte.[7] Das Gemälde scheint jedoch nicht ausgeführt worden zu sein. Auch erwähnt die Quelle nicht den Maler, der diesen Auftrag erhalten sollte. Die bislang rätselhafte Bezeichnung „chines“ auf einer der Figuren am untern Bildrand könnte dafür sprechen, dass hier der Empfang eines Botschafters oder ein ähnliches Ereignis dargestellt werden sollte. Dass die Exoten in persischer Tracht dargestellt sind, könnte auf Unkenntnis beruhen. Derartige kostümgeschichtliche Details könnte der Maler erst im Nachhinein geklärt haben, wenn er die allgemeine Disposition der Figuren hinreichend erprobt hatte.

[1] Bislang wurde die Eigenhändigkeit der Kasseler Zeichnung nur von Crosato Lacher (1986, S. 253) in Zweifel gezogen.

[2] Zur Diskussion, welches Thema auf dem großformatigen Gemälde ursprünglich dargestellt war, vgl. etwa Gottdang 2000 mit einer Zusammenfassung des Forschungsstandes.

[3] Cocke 1984, Nr. 69.

[4] Coutts 1986, S. 403, Nr. 69.

[5] Kat. Venedig 1988, Nr. 17.

[6] Wolters 1983, S. 227f., Abb. 228.

[7] Wolters 1983, S. 227, Anm. 5.

Veröffentlicht am 10.09.2008

Letzte Aktualisierung am 24.03.2009