Umkreis Giovanni Francesco Barbieri, gen. il Guercino

(Cento 1591 – Bologna 1666)

Nachzeichnung einer der Hermenfiguren von der Decke der Galleria Farnese; rückseitig Skizze einer Landschaft und eines Putto, 2. Hälfte 17. Jh.

Rötel auf Papier, 19,3 x 29,9 cm

Parallel zur rechten Blattkante neben der Herkulesfigur mit Rötel bez.: pigliare un buton d'oro e; mit schwarzer Kreide: baere od [?] Guercino; darunter: Guercino 26; mit brauner Feder: No 10 / 547.

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 18196

Literatur:

unpubliziert

Auf den ersten Blick scheint es sich bei der Rötelzeichnung mit der alten Zuschreibung an Guercino um ein typisches Skizzenblatt zu handeln, wie sie die Künstler nutzten, um verschiedene, inhaltlich nicht zusammengehörige Eindrücke, Studien, Ricordi oder Ideen als Erinnerungsstütze für den eigenen Gebrauch festzuhalten. Der Hermenpfeiler in Herkulesgestalt auf der Vorderseite etwa, den der Künstler zweimal, das eine Mal um 90 Grad gedreht, dargestellt hat, ist eine freie Nachzeichnung nach einer Figur des berühmten Deckenfreskos der Galleria Farnese, das Annibale Carracci ab 1597 in Rom schuf.[1] Zu dem in Grisaille ausgeführten, aufwendigen architektonischen Rahmen des Freskos gehört eine Folge von Hermenpfeilern, die die einzelnen Bildfelder der Sockelzone voneinander trennen. Der Hermenpfeiler in Herkulesgestalt flankiert das Bildfeld mit "Venus und Anchises" auf der rechten Seite.

Der Zeichner, der die Nachzeichnung vermutlich nach einer Stichvorlage anfertigte, hat den muskulösen Oberkörper des Helden mit kurzen, immer wieder neu ansetzenden Strichbögen in den wichtigsten Zügen erfasst. Dabei hielt er sich weitgehend an die Vorlage. Nur den Übergang des Körpers in den Pilaster kaschierte er durch ein Tuch, das er Herkules um die Hüften schlingt. Die bislang noch nicht entzifferte, parallel zur rechten Blattkante verlaufende Beschriftung in Rötel scheint in einem Zuge mit der Zeichnung ausgeführt worden zu sein. Die anderen Bezeichnungen wurden vermutlich später von anderer Hand hinzugefügt.

Die Landschaft, die der Zeichner auf der Rückseite des Blattes festhielt, zeigt einen klassischen Aufbau: ein kleiner Hügel mit einer malerisch vom Wind gebeugten Baumgruppe und einer figürlichen Staffage dient in der unteren linken Ecke des Bildfelds als Repoussoirmotiv. Dahinter deutet der Zeichner die ineinander verschachtelten Häuser und Mauern einer Stadt an. Über eine kaum gegliederte Mittelgrundzone wird der Blick des Betrachters rechts in der Bildtiefe von Buschwerk und Bäumen aufgefangen. Die leere Himmelszone füllt die Figur eines Putto, bei der es sich vermutlich erneut um eine Nachzeichnung handeln wird.

Die Größe des Blattes und die durchdachte kompositionelle Anordnung der verschiedenen Motive legen nahe, dass es sich um eine für den Verkauf im Atelier angefertigte Zeichnung handelt und nicht um ein spontan ausgeführtes Skizzenblatt, das zunächst nur für den Künstler selbst von Interesse war. Aufgrund ihrer Nähe zum Prozess der künstlerischen Ideenfindung waren derartige Skizzenblätter bei zeitgenössischen Sammlern so begehrt, dass sie für den Verkauf komponiert wurden.

Stilistisch ist das Blatt dem unmittelbaren künstlerischen Umfeld von Guercino zuzuordnen, ohne dass bislang eine genauere Zuordnung möglich wäre.[2]

[1] Martin 1965.

[2] Nicolas Turner, dem für seine freundlichen Auskünfte herzlich gedankt sei, sieht gerade in der Landschaftszeichnung Beziehungen zu den Werken von Cesare Genneri (richtig Gennari), betont aber, dass bei der derzeitigen Forschungslage eine definitive Zuschreibung nicht möglich sei (E-Mail vom 04.08.2008).

Veröffentlicht am 05.09.2008

Letzte Aktualisierung am 11.10.2012

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Rückseite GS 18196

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