Giovanni Battista Gaulli

(Genua 1639 – Rom 1709)

Allegorie der Gerechtigkeit und der Musik, vermutlich 1694

Schwarze Kreide, Feder in Braun, grau laviert auf Papier, alt montiert, 17,8 x 11,6 cm

Provenienz:

Christian Kammer, Stockholm; Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17081

Literatur:

unpubliziert

Die Kasseler Zeichnung, die stilistisch dem römischen Barockmaler Giovanni Battista Gaulli zweifelsfrei zuzuschreiben ist, steht im Zusammenhang mit zwei Entwürfen zu dem Titelblatt des Librettos „Il Corradino“ von Antonio Caraccio (1630–1702) in Düsseldorf[1] (Abb. 1) und New York[2]. Gaulli hat sich häufiger mit Illustrationen von Druckschriften beschäftigt und u. a. mehrere Frontispize für Libretti entworfen.[3] Das Libretto „Il Corradino“, das im mittelalterlichen Neapel spielt und 1694 in Rom erschien, war dem damaligen „Governatore di Roma“ und späteren Kardinal Giovanni Battista Spinola (1646–1719)[4] gewidmet, einem Mitglied einer bedeutenden Genueser Patrizierfamilie, für die der gebürtige Genueser Gaulli mehrfach tätig war. Das Frontispiz (Abb. 2), das Robert van Audenaerde (1663–1743) nach den Entwürfen Gaullis stach,[5]
zeigt in den Wolken thronend eine Allegorie der Justitia mit der Waage in der rechten und dem Wappen der Spinola in der linken Hand. Neben Justitia befindet sich ein Putto mit einem Faszienbündel. Bei der Frauengestalt, die mit einem Bündel Flöten auf dem Erdboden sitzt, könnte es sich um Euterpe handeln, die Muse der lyrischen Poesie und Musik.[6]

Der Stich von Audenaerde folgt der New Yorker Zeichnung. Das Düsseldorfer Blatt, das einen früheren Entwurfszustand festhält, weicht in vielen Details von der gestochenen Version ab. Die Haltung Justitias ist aufrechter, der Putto mit Schwert und Krone neben Euterpe wurde in der ausgeführten Version weggelassen und in der Landschaft im Hintergrund fehlt noch der Vesuv, der in der späteren Fassung den Ort der Handlung angibt. Gravierender sind jedoch die Abweichungen in der Kasseler Zeichnung. Während Justitia nur in der Kopfhaltung und der Position des Wappenschildes verändert wurde, ist der Putto mit Krone nun stehend wiedergegeben mit einem Schwert in der rechten Hand, auf das er sich stützt. Auch Euterpe erscheint nicht mehr sitzend, sondern stehend mit ihrem Flötenbündel unter dem Arm, den Blick zu Justitia gewandt. Den Engel mit Faszienbündel ersetzt ein Putto, der einen Kardinalshut über das Wappen hält.

Da Giambattista Spinola erst im Dezember 1695 zum Kardinal ernannt wurde und im Januar 1696 den Kardinalshut sowie das Diakonat S. Cesaro in Palatio erhielt, muss das Kasseler Blatt entweder später als die beiden anderen beiden Entwürfe entstanden sein – möglicherweise sollte das Titelblatt des „Corradino“ nach der Ernennung Giambattistas zum Kardinal aktualisiert werden – oder es bezieht sich auf ein anderes Familienmitglied, das gleichfalls die Kardinalswürde innehatte, und auf ein noch nicht identifiziertes Projekt. Motivübernahmen lassen sich häufig im Werk von Gaulli nachweisen.[7] So zeigt auch die Figur der stehenden Euterpe auf dem Kasseler Blatt weitreichende Übereinstimungen mit dem Frontispiz zum „Mercurio geografico“ von G. Cantelli da Vignola, das Gaulli 1692 entworfen hat.[8] Deshalb ist nicht auszuschließen, dass er die Figur der Justitia für einen anderen Auftrag der Familie Spinola von dem Titelblatt des „Corradino“ übernahm.

[1] Schwarze Kreide, Feder in Braun, grau laviert, 18,2 x 11,9 cm, Düsseldorf, museum kunst palast, Graphische Sammlung, Inv. Nr. KA (FP) 1929 (Graf 1976, Nr. 320 mit Abb.).

[2] Schwarze Kreide, Feder in Braun, braun laviert und weiß gehöht, 19,9 x 13,5 cm, New York, Metropolitan Museum of Art, Rogers Fund, 1963, Inv. Nr. 63.103.2 (Bean 1979, Nr. 226 mit Abb.; Kat. New York 1996, Nr. 83 mit Abb.).

[3] Matitti/Graf 1994.

[4] Del Re 1972, S. 110f.; Di Penta 2007, S. 17–32.

[5] Kat. Rom 1999, Nr. 84i mit Abb.

[6] Kat. New York 1996, S. 73.

[7] Graf 1976, S. 88.

[8] Kat. Rom 1999, Nr. 84f.

Veröffentlicht am 08.09.2008

Letzte Aktualisierung am 28.03.2009

Abb. 1

Abb. 1

Gaulli, Giovanni Battista

Düsseldorf, museum kunst palast, Graphische Sammlung, Inv.Nr. Inv. Nr. KA (FP) 1929

© Düsseldorf, museum kunst palast, Sammlung der Kunstakademie (NRW)

Veröffentlicht am 10.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 1