Unbekannt


Männliche Aktstudie

Feder in Schwarz auf gebräuntem Papier, 17,1 x 10,3 cm (unten unregelmäßig beschnitten)

Oben links mit brauner Feder bez.: 3.; unten rechts: tre; rückseitig unten rechts mit Graphit: Coll A. G. P. de Bizemont / Prunelé; darunter mit brauner Feder unleserliche Bezeichnung

Provenienz:

Double-numbering collector; Comte André-Gaspard-Parfait de Bizemont Prunelé (1752–1837; Lugt 128), Orléans; Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17129

Literatur:

Kat. Kassel 2009/2010

Die kleinformatige, mit spitzer Feder rasch auf das Papier gebrachte Studie eines männlichen Aktes überzeugt durch ihre lebendige, natürliche Haltung. Der athletisch gebaute junge Mann, der eben noch im klassischen Kontrapost gestanden zu haben scheint, ist in einem Drehmotiv begriffen. Seinen Kopf wendet er energisch nach links. Mit dem linken Arm stützt er sich von einem Podest ab, während er mit dem rechten, noch vor dem Oberkörper liegenden Arm zu einer Bewegung ausholt und das rechte Bein in einem Schrittmotiv nach außen streckt. Um die linke Schulter hat der Dargestellte einen Mantel geschwungen, der über den Arm auf das nur angedeutete Podest und den linken Oberschenkel fällt.

Traditionell bevorzugten zeitgenössische Künstler für Aktstudien weiche Zeichenmaterialien wie Kreide oder Rötel, um die Muskelpartien des Körpers möglichst genau modellieren und das Spiel des Lichts auf der Haut einfangen zu können. Flott ausgeführte, skizzenhafte Federzeichnungen sind dagegen in diesem Genre eher ungewöhnlich. Vasari empfiehlt allgemein für Studien, dass der Künstler bei ihrer Anfertigung „mit aller Sorgfalt“ zu arbeiten habe, „wobei sich der Künstler bei ihrer Ausführung nach dem lebenden Modell richten sollte, wenn er sich nicht stark genug fühlt, sie aus sich selbst heraus zu gestalten“.[1]

Der idealtypische Körper des Dargestellten und die suchende, immer wieder neu ansetzende Strichführung etwa bei den Beinen könnten dafür sprechen, dass der versierte Zeichner in diesem Fall aus dem Gedächtnis heraus und nicht vor dem Modell gearbeitet hat und sich deshalb in Partien korrigieren musste. Auf jeden Fall verfügte er über genaue Kenntnisse der menschlichen Anatomie und wird sich durch das Kopieren antiker Skulpturen geschult haben, deren Schönheitsideal in der Körperauffassung des Dargestellten zum Tragen kommt.

Das Blatt war ehemals dem lombardischen Maler Giulio Cesare Procaccini (1574–1625) zugeschrieben, mit dessen zeichnerischem Werk es jedoch nicht in Einklang zu bringen ist. Hugo Chapman, London, hat kürzlich mündlich Stefano della Bella als Urheber des Blattes vorgeschlagen. Mit dessen zügig ausgeführten, kleinformatigen Federskizzen hat die Kasseler Aktstudie in der Tat stilistisch einiges gemein. Vergleichbare Parallelschraffuren, eine ähnlich zarte Variation der Stärke des Federstrichs und eine vibrierende Strichführung finden sich auch auf sicher zuschreibbaren Zeichnungen Stefano della Bellas.[2] In den Details der Strichführung zeigen sich aber laut David Klemm, Hamburg,[3] zu viele Unterschiede, um das Blatt seiner Hand zuzuschreiben.

[1] Vasari 2006, S. 104.

[2] Viatte 1974, Nr. 2, 203 mit Abb. Eine Beziehung zu Stefano della Bella legt auch die rückseitige, allerdings kaum lesbare Bezeichnung nahe, deren letztes Wort als „Bella“ zu identifizieren ist.

[3] Freundliche Auskunft per E-Mail vom 20.05.2010.

Veröffentlicht am 14.12.2010

Letzte Aktualisierung am 19.10.2012

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Rückseite GS 17129

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