Baldassare Franceschini, gen. il Volterranno

(Volterra 1611 – Florenz 1689)

Verschiedene Faltenstudien zum Gewand der Mutter auf dem Altarbild mit der Glorie des hl. Philippus Benitus in SS. Annunziata in Florenz, vor 1671

Rötel, stellenweise weiß gehöht auf braunem Papier, 25 x 39,3 cm

Oben mittig auf dem Kopf stehend mit brauner Feder von der Hand Giuseppe Santinis bez.: Mano di Bald: Franch:ni detto il Volterrano; rückseitig parallel zur linken Blattkante von derselben Hand bez.: Mano di Baldassar Franceschini detto il Volterrano

Provenienz:

Giuseppe Santini (gest. nach 1717), Pisa
Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17326

Literatur:

unpubliziert

1671 schuf Baldassare Franceschini, gen. il Volterranno, ein Altarbild mit der „Glorie des hl. Philippus Benitius“ für eine Kapelle im linken Querschiff von SS. Annunziata in Florenz (Abb. 1).[1] Seit den 40er Jahren war Volterranno immer wieder für diese Florentiner Kirche und den Servitenorden tätig gewesen. So fertigte er 1643–44 die „Apotheose der hl. Cäcilie“ sowie musizierende Engel für Gewölbe und Lünetten der Cappella Grazzi, 1650–51 die „Glorie der hl. Lucia“ und Tugenden für Kuppel und Pendentifs der Cappella Colleredo und 1669 schließlich eine Himmelfahrt Mariae für das zentrale Deckenfeld der Kirche. Der Anlass für den neuerlichen Auftrag war die Kanonisierung von Philippus Benitius (1233–1285) im Jahr 1671. Philippus Benitius gilt als zweiter Gründer des Servitenordens, da er die Satzung des Ordens grundlegend überarbeitete. Auftraggeber der „Glorie“ war nicht der Orden, sondern Kardinal Leopoldo de’ Medici, der ein Jahr zuvor das alte Altarbild mit der Immaculata von Piero di Cosimo (1461/62–1521?) für seine Sammlung im Palazzo Pitti erhalten hatte und dafür Ersatz schaffen musste.

Das Altarbild zeigt den Heiligen in der Tracht seines Ordens inmitten von Putten vor einer Wolkenaureole bei seiner Himmelfahrt, die Hände vor der Brust gefaltet, den Blick nach oben gerichtet. Unter seinem Gewand hat ein nackter Knabe Schutz gesucht, der das Attribut des Heiligen, die Lilie, in den Händen hält. Mit diesem Gestus spielt Franceschini auf eines der Wunder an, die Philippus Benitius zugeschrieben werden. Durch die Berührung mit seinem Mantel soll ein kranker Knabe genesen sein. Im Vordergrund des Altarbildes sitzt denn auch eine Mutter auf einer Balustrade, die dem Heiligen ihr krankes Kind entgegenhält.

Die Kasseler Faltenstudie in Rötel, die bislang nicht mit einem ausgeführten Werk verbunden werden konnte, dient dem Studium der in delikater Farbigkeit ausgeführten Gewandung der jungen Mutter. Über einem weiten blauen Rock trägt sie einen roten Schal. Unter ihrem Ärmel aus gelbem, seidigem Stoff schaut ein dünnes weißes Untergewand hervor.

Wie die Kasseler Studie zeigt, studierte Franceschini die Kleidung der Mutter nicht als Ganzes, sondern widmete sich zunächst den einzelnen Schichten des Gewandes, die er erst später zusammenfügte. Auf der Vorderseite des Blattes hielt er zuerst den weich fallenden Rock der Frau bis zur Taille fest, ohne den darüber gelegten Schal. Rechts daneben skizzierte er ihren gelben Ärmel mit dem weißen Untergewand. Den oberen Teil des Ärmels wiederholte er noch einmal links darunter, wobei er den Faltenfluss geringfügig veränderte. Auf der Rückseite setzte er sich zweimal mit dem roten Schal auseinander, der über den Knien der Dargestellten ruht, um dann zu dem Ärmel zurückzukehren, den er noch zweimal komplett mit Unter- und Obergewand sowie einmal ohne Unterkleid festhielt. Dabei variierte er den Faltenverlauf immer wieder in den Details.

Zu der „Glorie des hl. Philippus Benitius“ haben sich weitere Entwurfszeichnungen und Detailstudien erhalten, die den Prozess der Ideenfindung und -umsetzung dokumentieren. Ein frühes Stadium des Entwurfsprozesses überliefern zwei Skizzen zur Gesamtkomposition in Wien (Abb. 2)[2] sowie ein Blatt, das 1999 bei Sotheby’s auktioniert wurde.[3] Sie zeigen noch deutliche Abweichungen von der ausgeführten Version etwa in der Haltung des Heiligen oder bei der Mutter mit ihrem Kind. Das Ringen um die angemessene Haltung von Mutter und Kind zeigt eine Studie mit fünf Varianten zu der Gruppe, die 1980 im Kunsthandel (Abb. 3) angeboten wurde.[4] Mehrfach hat Franceschini dort die Position des Kindes verändert und die jeweilige Wirkung der Gruppierung erprobt. In der Fondazione di Studi di Storia dell’Arte Roberto Longhi in Florenz (Abb. 4)[5] hat sich ein schönes Studienblatt zu der Mutter erhalten, deren Haltung Franceschini inzwischen festgelegt hatte. Unter Verzicht auf das Kind beschäftigt er sich auf der Vorderseite mit der Hand- und Kopfhaltung der Dargestellten und setzt sich bereits mit Details, wie ihrem Ohr, auseinander. Auch dem roten Schal auf ihren Knien widmet er bereits eine erste Studie, während er sich rückseitig mit dem Fall der Falten auf dem Ärmel beschäftigt (Abb. 5). Bekannt sind ferner Detailstudien zu einzelnen Figuren, wie dem Heiligen[6], dem Jungen mit Blumenkranz im Haar, der hinter der Mutter hervorschaut,[7] oder dem Engel rechts des Heiligen[8]. Maria Cecilia Fabbri erwähnt in ihrem ausführlichen Katalogbeitrag weiter einen quadrierten Ausführungsentwurf, der 1984 im Kunsthandel auftauchte.[9]

Alle diese Zeichnungen dokumentieren höchst anschaulich die akribische Arbeitsweise Franceschinis, der seine Gemälde bis in die kleinsten Details zeichnerisch vorbereitet hat. Wie das Kasseler Studienblatt zeigt, dienten ihm seine Faltenstudien dabei nicht nur dazu, den stimmigen Verlauf der Gewänder festzulegen, sondern vor allem das Spiel des Lichtes auf den glänzenden Stoffen einzufangen. Dem Gewand der Mutter, dessen exquisite Farbigkeit mit dem Dreiklang von Blau, Rot und Goldgelb dem Altarbild Wärme und Ausstrahlung verleiht, widmete er dabei besondere Aufmerksamkeit.

Interessanterweise scheint sich Franceschini bei der Figur der jungen Frau auf eine ältere Bilderfindung zu berufen. Bei einer „Mystischen Vermählung der hl. Katharina“ in Prato,[10] die in mehreren Fassungen vorliegt und von der neueren Forschung in die 1650er Jahre datiert wird,[11] kommt die kniende hl. Katharina in ihrer Gewandung mit dem über die Knie gelegten Schal und den Ärmeln, aus denen ein Untergewand hervorschaut, der jungen Frau des Altarbildes von SS. Annunziata sehr nahe. Franceschini hat hier also in leichter Abwandlung auf eine bereits bewährte Motiverfindung zurückgegriffen.

Die alte Bezeichnung des Blattes mit der Zuschreibung an Volterrano zeigt die charakteristische Handschrift des aus Pisa stammenden Ingenieurs, Dilettanten und Sammlers Giuseppe Santini,[12] der eine umfangreiche Sammlung an Zeichnungen des Florentiner Malers zusammentrug. Wichtigstes Zeugnis für seine Sammeltätigkeit ist heute ein Album mit 35 Zeichnungen von Franceschini in der Fondazione di Studi di Storia dell’Arte Roberto Longhi in Florenz.

[1] Zu diesem Auftrag vgl. Auktionskat. Sotheby Parke Bernet and Co. 3.7.1980, S. 35; Kat. Florenz 1986/1987/2, Nr. 2.3.12.

[2] Rötel, Feder in Braun, 38 x 25,5 cm, Wien, Albertina, Inv. 23916 (Birke/Kertész 1992–1997, Bd. #, Nr. 23916).

[3] Rötel, 39 x 26,5 cm (Auktionskat. Sotheby’s New York 27.1.1999, Nr. 35 mit Abb.).

[4] Rötel, Feder in Braun, 19,1 x 25,5 cm (Auktionskat. Sotheby Parke Bernet and Co. 3.7.1980, Nr. 43a).

[5] Rötel, weiß gehöht, verso vier Faltenstudien, 40 x 24,5 cm, Florenz, Fondazione di Studi di Storia dell’Arte Roberto Longhi, Inv. Nr. 13/D (Kat. Florenz 1986/1987/2, Nr. 2.3.12).

[6] Rötel, verso mehrere Engelfiguren, Rötel und Feder in Braun, 20,6 x 13,8 cm, Amsterdam, Rijksprentenkabinett, Inv. Nr. 1958:81 (Kat. Amsterdam 1973, Nr. 59).

[7] Rötel mit Spuren von Weißhöhung, 31,5 x 25,7 cm (Auktionskat. Sotheby Parke Bernet and Co. 3.7.1980, Nr. 43b).

[8] Göttingen, Kunstsammlung der Georg August Universität (Kat. Florenz 1986/1987/2, S. 345).

[9] Paris, Libert et Castor’s, Nouveau Drouot, 4.6.1984 (Kat. Florenz 1986/1987/2, S. 345).

[0] Öl auf Leinwand, 204 x 186 cm, Prato, Cassa di Risparmi e Depositi (Kat. Florenz 1986/1987/1, Nr. 1.230).

[1] Während Charles McCorquodale (1983, S. 70) das Gemälde in die 70er Jahre setzte, wird es von Maria Cecilia Fabbri bereits in die 50er Jahre datiert (Kat. Florenz 1986/1987/1, Nr. 1.230).

[2] Zu Santini vgl. Monbeig-Goguel 2006, S. 46f.

Veröffentlicht am 06.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

verso

Rückseite GS 17326

Abb. 1

Abb. 1

Baldassare Franceschini, gen. il Volteranno

Florenz, SS. Annunziata, Inv.Nr. ohne Inv. Nr.

© Sopraintendenza Speziale per il Patrimonio Storico, Artistico ed Etnoantropologico e per il Polo Museale della Città di Firenze

Veröffentlicht am 10.09.2008

Letzte Aktualisierung am 02.02.2009

Abb. 2

Abb. 2

Baldassare Franceschini, gen. il Volterranno

Wien, Albertina, Inv.Nr. Inv. Nr. 23916

© Wien, Albertina

Veröffentlicht am 10.09.2008

Letzte Aktualisierung am 14.08.2009

Abb. 3

Abb. 3

Baldassare Franceschini, gen. il Volterranno

Standort unbekannt; Auktionskat. Sotheby Parke Bernet and Co. 3.7.1980, Inv.Nr. Nr. 43a

Veröffentlicht am 29.01.2009

Letzte Aktualisierung am 13.08.2009

Abb. 4

Abb. 4

Baldassare Franceschini, gen. il Volterranno

Florenz, Fondazione di Studi di Storia dell'Arte Roberto Longhi, Inv.Nr. Inv. Nr. 13/D recto

© Florenz, Fondazione di Studi di Storia dell'Arte Roberto Longhi

Veröffentlicht am 29.01.2009

Letzte Aktualisierung am 14.08.2009

Abb. 5

Abb. 5

Baldassare Franceschini, gen. il Volterranno

Florenz, Fondazione di Studi di Storia dell'Arte Roberto Longhi, Inv.Nr. Inv. Nr. 13/D verso

© Florenz, Fondazione di Studi di Storia dell'Arte Roberto Longhi

Veröffentlicht am 29.01.2009

Letzte Aktualisierung am 14.08.2009

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Abb. 1


Abb. 2


Abb. 3


Abb. 4


Abb. 5