Unbekannt


Studie eines knienden Priesters, rückseitig Studie einer Hand und eines weiblichen Kopfes, 2. Hälfte 17. Jh.

Schwarze und weiße Kreide auf blaugrünem Papier, 26,3 x 19,1 cm

((Bezeichnungen? s. MuseumPlus Beschriftungen, Anm. bei Zusatzdaten2 aber leer))

GS 1130

Literatur:

Voigt 1938 (als Tizian); Preime 1939, S. 146 (als Tizian); Tietze/Tietze-Conrat 1970, S. 314 Nr. A 1887 (als Cavedone)

Die Studie eines knienden Geistlichen in schwarzer und weißer Kreide auf blaugrünem Papier hat eine wechselhafte Zuschreibungsgeschichte hinter sich. Auf der alten, heute nicht mehr vorhandenen Montierung soll sich eine Beischrift des 18. Jahrhunderts mit einer Zuweisung an Carlo Maratti (1625–1713) befunden haben.[1] Aufgrund stilistischer Übereinstimmungen mit einer Figurenstudie der Sammlung Franz Königs, die Detlef von Hadeln 1924 Tizian (um 1477/90–1576) zugeschrieben hatte,[2] ordnete Franz Voigt die Kasseler Zeichnung 1938 gleichfalls dem venezianischen Malerfürsten zu, obwohl er die Qualität des Blattes, von dem „keine unmittelbar faszinierende Wirkung“ ausgehe, durchaus kritisch sah.[3] Hans Tietze und Erica Tietze-Conrat bestätigten 1970 zwar, dass beide Blätter stilistisch eng zusammenhängen, identifizierten den Zeichner aber nicht mit Tizian, sondern mit Giacomo Cavedone (1577–1660), zu dessen Werk die Studie der Sammlung Königs aufgrund einer alten Bezeichnung bereits vordem gezählt worden war.[4]

Viele der Figurenstudien Cavedones zeigen deutlich den Einfluss Tizians.[5] Im Fall der Kasseler Zeichnung, die keine Beziehung zu seinen Gemälden aufweist, vermag die Zuschreibung an Cavedone heute aber nicht mehr zu überzeugen. Im Vergleich zu den Zeichnungen, die dem Bologneser Maler sicher zugeschrieben werden können, fällt sie qualitativ deutlich ab. Während Cavedone seine prägnant umrissenen Figurenstudien sicher bis in Haltung wie Ausdruck festlegt und die Faltenzüge plastisch im Spiel von Licht und Schatten herausarbeitet, bleibt vieles in der Kasseler Studie diffus. Trotz der ausgeprägten Weißhöhungen wirkt das Gewand des Dargestellten letztlich flach. Die Verkürzung des Armes ist nicht überzeugend gelungen, und auf die Hände verzichtete der Zeichner gänzlich, so dass letztlich unklar bleibt, welche Handlung der Dargestellte vollzieht. Ebenso unklar bleibt, was die Kreidestriche hinter dem Kopf des Knienden andeuten. Auch die Skizzen auf der Rückseite, die nach Entfernung der Kaschierung freigelegt wurden, überzeugen nicht. Sie erinnern zwar im Aufbau an Detailstudien Carlo Marattis, haben aber nicht dessen zeichnerische Präzision. Das Blatt wird deshalb eher einem späten Nachfolger Tizians in Venedig zuzuordnen sein als dem Bologneser Giacome Cavedone oder dem Römer Carlo Maratti.

[1] Voigt 1938, S. 17. Auf der alten Kaschierung, die im Mai 2006 entfernt wurde, befand sich rückseitig die moderne Bezeichnung „Maratti“ sowie eine schwer lesbare Zahlenkombination.

[2] Hadeln 1924, S. 47, Taf. 32.

[3] Voigt 1938, S. 18.

[4] Tietze/Tieze-Conrat 1970, Nr. A 1887, A 1916. Weiter ordnen sie ein Blatt, das sich ehemals in der Sammlung Feldmann in Brünn befunden hat, derselben Hand zu (Nr. A 1883).

[5] Vgl. dazu etwa Shaw 1983, Nr. 335; Giles 1984, S. 250.

Veröffentlicht am 17.02.2009

Letzte Aktualisierung am 24.03.2009

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Rückseite GS 1130

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