Johann Liss

(Oldenburg i. H. [?] um 1597 – Verona 1631)

Im Garten einer Osteria, um 1620

Graphit, schwarze und weiße Kreide auf braunem Papier, alt montiert, 22,4 x 34,2 cm

Provenienz:

Vor 1836 J. A. G. Weigel, Leipzig; Mai 1883 Auktion Gutekunst, Stuttgart; 1899 Geschenk von Edward Habich

GS 1375

Literatur:

Kat. Leipzig 1836, S. 105, Nr. 706 (als Quellinus); Kat. Leipzig 1869, S. 140, Nr. 986 (als Erasmus Quellinus); Auktionskat. Gutekunst 15.5.1883, S. 99, Nr. 793 (als Quellinus); Eisenmann 1888, S. 111; Eisenmann 1890, Taf. 43; Wurzbach 1906–1911, Bd. 2, S. 76; Oldenbourg 1914, S. 148; Oldenbourg 1921, Abb. 10; Peltzer 1924, S. 164; Peltzer 1929, S. 286; Hind 1931, S. 151; Hallo 1933, S. 21; Preime 1939, S. 148; Steinbart 1940, S. 63, 164, Taf. 21; Steinbart 1946, S. 28, 60, Nr. 19, Abb. 19; Kat. Nürnberg 1952, S. 193, Nr. 165; Schilling 1954, S. 34; Martius o. J. [1955], S. 9, Abb. 8; Kat. Washington 1955/1956, S. 42, Nr. 100; Kat. München 1956, S. 49, Nr. 113; Steinbart 1958/1959, S. 182; Ivanoff 1959, S. 137; Kat. Venedig 1959/1, S. 168, Nr. 35, Abb. 35; Kat. Manchester 1961, S. 68; Kat. Stuttgart 1962, S. 109; Kat. Berlin 1966, S. 122f., Nr. 161, Abb. 158; Pignatti 1970, Taf. 12; Kat. Augsburg 1975, S. 41f., 81f., 143f., Nr. B49, Abb. 51; Bean 1976, S. 64; Spear 1976, S. 586, 592; Oehler 1979, S. 7; Klessmann 1986, S. 194; Kat. Tokyo 1998, Nr. D-13 mit Abb.; Klessmann 1999, S. 46, 102f., 168, 178–180, 191, Nr. D14, Abb. 51; Kat. Kassel 2000, S. 46, Nr. 15, Abb. S. 47; Kat. Kassel 2009/2010

Das zeichnerische Werk von Johann Liss ist klein. Zu den wenigen Blättern, die ihm unzweifelhaft zugewiesen werden können, gehört diese Vorstudie zu dem Kasseler Gemälde „Das Morraspiel“ (Abb. 1) [1]. In lockerer Manier, zuweilen mit wenigen raschen Schraffen die Gegenstände nur andeutend, zuweilen präziser mit Konturen arbeitend, hat Liss das gesellige Treiben im Garten einer Schenke umrissen. An zentraler Stelle hat sich an einem Tisch ein Paar ins Morraspiel vertieft, bei dem die ausgestreckten Finger aller Spieler mit einer überraschend ausgerufenen Zahl übereinstimmen müssen. Ein Pfeifenraucher schaut ihnen zu, während eine Musikantin ihr Instrument beiseite legt, um sich einem Mann zuzuwenden, der ihre Aufmerksamkeit erregt hat. Diese zentrale Gruppe wird ergänzt durch zwei debattierende Gesellen links und zwei Frauen, die Wein und Speisen herbeibringen, rechts.

Im Gegensatz zu der Zeichnung beschränkte sich Liss bei dem Kasseler Gemälde auf die zentrale Gruppe, die bis auf wenige Details mit der Zeichnung übereinstimmt. Die Umwandlung des Querformats in ein Hochformat und die Konzentration auf die Mittelszene verändern die Wirkung der Komposition entscheidend: Die Distanz des Betrachters zu der geschilderten Szene wird verringert, die Intensität der Darstellung gesteigert. Zusätzlich wird ihre inhaltliche Ausrichtung verschoben. Bei der Zeichnung ist das Morraspiel eine Szene unter mehreren. Wie häufiger bei derartigen Szenen scheint Liss auf die fünf Sinne anzuspielen.[2] Die Weintrinker stehen für den Geschmack, der Pfeifenraucher versinnbildlicht den Geruch, die Musikantin das Gehör, die beiden sich raufenden Hunde den Tast- und die Morraspieler den Gesichtssinn. Auf dem Kasseler Gemälde steht dagegen das Paar beim Morraspiel im Vordergrund und damit ein Thema, das Liss gleichfalls sehr geschätzt hat: das Spiel mit der Liebe.[3]

Wie das Kasseler Gemälde, so wird auch die Zeichnung dem ersten Aufenthalt von Liss in der Lagunenstadt zugeordnet. Bis 1619 soll er in den Niederlanden, dann in Venedig und drei Jahre später bereits in Rom gearbeitet haben, wo er nach Sandrart „eine ganz andere Art“[4] annahm. Ein Vergleich des Kasseler Blattes mit den Zeichnungen der niederländischen Zeit zeigt jedoch, dass der römische Aufenthalt nicht den ersten entscheidenden Wandel seines Stils bewirkt hat. Aus einer eher nüchternen, die Gegenstände klar konturierenden Zeichenweise ist unter dem Einfluss der venezianischen Kunst ein duftiges, durchlichtetes System von Schraffen geworden, bei dem der Strich zugunsten einer malerisch flächenhaften Wirkung zurückgedrängt wurde. Das in Venedig besonders beliebte farbige Papier und der weiche Strich der Kreide kommen diesen Tendenzen noch entgegen.

[1] Museumslandschaft Hessen Kassel, Gemäldegalerie Alte Meister, Inv. Nr. GK 186 (Schnackenburg 1996, S. 173, Taf. 257).

[2] Vgl. dazu Tacke 1995, S. 167.

[3] Klessmann 1999, S. 44.

[4] Sandrart 1925 (1675), S. 187.

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.10.2012

Abb. 1

Abb. 1

Johann Liss

Museumslandschaft Hessen Kassel, Inv.Nr. Inv. Nr. GK 186

© Museumslandschaft Hessen Kassel (Foto: Gabriele Bößert, Ute Brunzel, Arno Hensmanns)

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 13.08.2009

Abb. 1