Girolamo Pilotti zugeschrieben

(Venedig? um 1597 – Venedig? 1649)

Erweckung des Lazarus, um 1630

Schwarze Kreide, Feder in Dunkelbraun, braun laviert, weiß gehöht auf braunem Papier, 28,7 x 21,7 cm

Rückseitig oben links mit brauner Feder bez.: Tentoretto; mittig mit roter Kreide alte, unleserliche Sammlungsnummer

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17130

Literatur:

unpubliziert

Das zeichnerische Werk des venezianischen Malers Girolamo Pilotti ist äußerst schmal. Nur zwei Zeichnungen im Louvre[1] und ein Blatt im Museo Correr[2] werden aufgrund alter Zuschreibungen seiner Hand zugewiesen. Mit ihrer malerisch Ton in Ton gearbeiteten Modellierung, den mit der Feder akzentuierten Konturen sowie den verwendeten Figurentypen zeigen die beiden Blätter des Louvre durchaus stilistische Übereinstimmungen mit dem Kasseler Blatt, so dass vorerst an der traditionellen Zuschreibung festgehalten werden kann, zumal der Entwurf zahlreiche Motivübernahmen aus anderen venezianischen Gemälden der Zeit aufweist.

Dargestellt ist die Auferweckung des Lazarus nach Johannes 11, 38–44. Ruhepunkt der bewegten, kreisförmig angeordneten Komposition ist die hoch aufragende Gestalt Christi am rechten Bildrand. Christus weist mit seiner rechten Hand auf den Verstorbenen, der in erhöhter Position in der linken oberen Bildhälfte auf einem Sarkophag liegt und von Helfern aus den Leichentüchern gewickelt wird, und befielt ihm, sich zu erheben. Zu Füßen Christi knien in sehr bewegter Haltung die Schwestern von Lazarus, Maria und Martha, sowie weitere Personen, die mit ausladenden Gesten aufgeregt auf das wundersame Geschehen reagieren.

Die Auferweckung des Lazarus, die jedem Gläubigen die Auferstehung nach dem Tode verheißt, wurde in der zeitgenössischen venezianischen Malerei häufig dargestellt. Nach Herwig Guratzsch ist die prominente Darstellung der beiden Schwestern von Lazarus eine venezianische Motiverfindung, die durch Jacopo Tintoretto (1518–1594) und Hans Rottenhammer (1564–1625) in die Lazarusdarstellung eingeführt wurde.[3] Diese beiden Maler scheinen denn auch für die Kasseler Zeichnung die entscheidenden Vorbilder geliefert zu haben, aus denen Pilotti versatzstückartig bestimmte Motive entnahm und neu zusammenstellte. So orientiert sich seine Christusgestalt an einer „Auferweckung des Lazarus“ von Tintoretto im Museum der Bildenden Künste in Leipzig.[4] Die kniende Maria Magdalena mit den weit ausgebreiteten Armen, die sich zu Christus umsieht, übernahm Pilotti von einem Reproduktionsstich (Abb. 1), den Raphaël Sadeler I (1560/61–1628/32) zwischen 1601 und 1604 während seines Aufenthaltes in Venedig nach einer Zeichnung von Rottenhammer anfertigte, die sich heute in Chatsworth befindet.[5] Bei Tintoretto findet sich auch die erhöhte Positionierung des Grabes und das Motiv des Toten, der im Liegen, in stark bewegter Haltung von mehreren Helfer aus den Leichentüchern gewickelt wird.[6]

Die Rückenfigur links im Vordergrund, die erschreckt zurückweicht, scheint Pilotti dagegen von seinem großen Vorbild, von Palma il Giovane, übernommen zu haben und zwar von einer „Auferstehung Mariae“ in römischem Privatbesitz.[7] Marco Boschini betonte bereits 1675, dass Pilotti sich eng an Palma il Giovane angelehnt habe und „come si vede in molte sue opere […] ha colpito nello stile si ne’ concerti, come nei nudi e nel faldeggiare dei panni e nelle idee che […] sai trasformò nello stesso maestro“.[8] Die Kasseler Zeichnung belegt anschaulich, dass Palma nicht sein einziges Vorbild war.

[1] Predigender Franziskaner, Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf grauem Papier, 20,2 x 28,1 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 5785 (Kat. Venedig 1966, Nr. 30 mit Abb.); Hl. Rochus und die hl. Ottilie, Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf grauem Papier, 27 x 15,5 cm, Paris, Musée du Louvre, Inv. Nr. 10314.

[2] Bankett, Feder in Braun, 19,7 x 28,7 cm, Venedig, Museo Correr, Inv. Nr. 5739 (Pignatti 1996, Nr. 1364 mit Abb.).

[3] Guratzsch 1980, Bd. 1, S. 123f.

[4] Inv. Nr. 239 (Pallucchini/Rossi 1982, Nr. 242, Abb. 312).

[5] Oeuvre de Sadeler, Klebeband, Museumslandschaft Hessen Kassel, Graphische Sammlung, Inv. Nr. GS 20326, fol. 30 (Hollstein 21); zur Zeichnung Schlichtenmaier 1988, S. 141, ZI 75, St. 54.

[6] Lübeck, Katharinenkirche (Pallucchini/Rossi 1982, Nr. 357, Abb. 464, 465).

[7] Mason Rinaldi 1984, Nr. 245, Abb. 101.

[8] Boschini 1674, o. P. Vgl. auch Vaccari 1991, S. 129.

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 31.03.2009

Holstein 21

Abb. 1

Abb. 1

Raphaël Sadeler I nach Rottenhammer

Museumslandschaft Hessen Kassel, Inv.Nr. Inv. Nr. GS 20326, fol. 30

© Museumslandschaft Hessen Kassel (Foto: Gabriele Bößert, Ute Brunzel, Arno Hensmanns)

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 31.03.2009

Holstein 21

Abb. 1