Unbekannt


Judith und Holofernes; rückseitig Judith mit dem Haupt des Holofernes, 2. Hälfte 17. Jh.

Feder in Schwarz, grau laviert, weiß gehöht, rückseitig schwarze Kreide auf Papier, 19,6 x 13,8 cm

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 18169

Literatur:

Auktionskat. Kunstantiquariat Arno Winterberg 4.5.1974, Nr. 289 (als Mattia Bortoloni)

Das apokryphe Thema der schönen, gottesfürchtigen Witwe Judith, die den Feldherrn Holofernes tötete, um die Israeliten zu retten, wurde in Italien im 16. und 17. Jahrhundert sehr häufig dargestellt.[1] Reich geschmückt, „um die Blicke aller Männer, die sie sähen, auf sich zu ziehen“ (Jdt. 10,4), begab sich Judith mit ihrer Magd in das Lager des Feindes. Bei einem Gastmahl entbrannte Holofernes’ Leidenschaft, „und er war begierig danach, mit ihr zusammen zu sein“ (Jdt. 12,16). Als er trunken eingeschlafen war, schlug Judith ihm mit zwei Schwerthieben das Haupt ab, packte es in einen Sack und verließ mit ihrer Dienerin das Lager, um die Beute ihrem Volk zu präsentieren.

Die zeitgenössische Interpretation der Heroine war zwiespältig. Von einer Tugendallegorie als ‚fortitudo‘ oder ‚justitia‘ über das Sinnbild der ‚ecclesia militans‘ in den Zeiten der Gegenreformation reichte das Spektrum bis zur bedrohlichen ‚femme forte‘, zur Verführerin, die ihre Weiblichkeit als Waffe einsetzt und mit negativ besetzten Frauengestalten wie Salome oder Delilah verbunden wurde. Private Sammler schätzten das facettenreiche Thema vor allem als halbfiguriges Galeriebild.

In der Nachfolge der berühmten „Enthauptung des Holofernes“ von Caravaggio von 1598/99 neigten viele Künstler zu einer deutlichen Brutalisierung der Szene und stellten bevorzugt den Moment dar, in dem das Haupt abgeschlagen wird.[2] Dagegen holt Judith auf der Vorderseite der Kasseler Zeichnung erst mit dem Schwert aus, um den vor ihr auf einer Bettstatt liegenden Holofernes zu töten. Im Hintergrund ist schemenhaft die Magd zu erkennen. Das freizügige Dekolleté Judiths erotisiert die Darstellung und bezeugt ihre weibliche Verführungskunst, der Holofernes erlag.

Die Rückseite der Zeichnung zeigt Judith nach vollbrachter Tat. Selbstbewusst blickt die junge, en face erfasste Frau aus dem Bild auf den Betrachter. Ihr linker Arm ruht entspannt auf einer Brüstung, die das Bild nach unten hin abschließt. Mit der Hand presst sie den abgeschlagenen Kopf an ihre Brust, die Rechte hält das Schwert. Der enggefasste Bildausschnitt verleiht Judith eine große Präsenz.
Der rückseitige Entwurf entspricht einer venezianischen Darstellungskonvention des 16. Jahrhunderts. In Anlehnung an zeitgenössische Bella-Darstellungen wurde Judith aus dem szenischen Kontext gelöst und als Halbfigur vor einer Balustrade dargestellt, auf der sie das Schwert und den Kopf des Holofernes als ihre Attribute präsentiert. Im Aufbau und in der Anordnung der Bildelemente entspricht die Kasseler Zeichnung etwa einer Judith-Darstellung von Palma il Vecchio (um 1480–1528) in den Uffizien.[3] Der enge Bildausschnitt und die unmittelbare Präsenz der Frauengestalt erinnern darüber hinaus an Simon Vouets (1590–1649) Judith in der Alten Pinakothek in München.[4]

Das Kasseler Blatt scheint also auf Vorder- und Rückseite Alternativen für ein Galeriebild vorzustellen. Während die rasch hingeworfene Skizze auf der Rückseite in Kohle ausgeführt wurde, hat die Vorderseite einen ausgesprochen malerischen Charakter. Mit wenigen Federstrichen hat der Zeichner den Rahmen festgelegt und die Protagonisten platziert. Anschließend lavierte er das Blatt großflächig in verschiedenen Grauabstufungen und tönte es bis zum Blattrand hin grau ein. Die dicht aufgetragenen Weißhöhungen unterstreichen die flackernde nächtliche Beleuchtung der Szene.

Die Zeichnung wurde 1974 als Werk Mattia Bortolonis (1696–1750) auktioniert. Mit den manieristisch überlängten Figuren auf den wenigen ihm sicher zuschreibbaren Blättern ist die Kasseler Zeichnung nicht in Einklang zu bringen.[5] Die Vorderseite scheint mit ihren ausgeprägten Weißhöhungen stilistisch eher der Nachfolge von Carl Loth (1632–1698) verpflichtet zu sein.[6] Eine Zuschreibung an dessen Schüler Daniel Seiter (1647–1705) wurde von Matthias Kunz bestätigt, die rückseitige Kohlezeichnung scheint aber nur schwer in dessen Werk einzubinden zu sein.[7] So muss die Zuschreibung der Kasseler Zeichnung vorerst offenbleiben.

[1] Kat. Düsseldorf 1995, S. 238–274; Reinike 2003; Uppenkamp 2004.

[2] Uppenkamp 2004, S. 55–84.

[3] Florenz, Galleria degli Uffizi, Inv. Nr. 939 (Rylands 1988, Nr. 77; Reineke 2003, S. 30f.).

[4] München, Alte Pinakothek, Inv. Nr. 2279 (Crelly 1962, Nr. 70; Uppenkamp 2004, S. 87–90).

[5] Zu seinen Zeichnungen vgl. zuletzt Malachin 2007.

[6] Für ihre freundlichen Auskünfte danke ich Gode Krämer, Augsburg, und Matthias Kunze, Berlin.

[7] Auch sind die Weißhöhungen bei Seiters Federzeichnungen auf farbigen Papieren flächiger und weniger zeichnerisch ausgeführt. Vgl. etwa Kat. Salzburg 1997, Nr. 7, 9–10 oder 27.

Veröffentlicht am 13.08.2012

Letzte Aktualisierung am 19.10.2012

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Rückseite GS 18169

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