Umkreis Giovanni Battista Piazzetta

(Venedig 1682 – Venedig 1754)

Studie eines Kopfes und einer Hand; rückseitig Faltenstudie, um 1740

Schwarze und braune Kreide, weiß gehöht auf ehemals blauem Papier, 34,2 x 25,2 cm

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17134

Literatur:

unpubliziert

Mit seinen „teste di carattere e di santi“ begründete Piazzetta seinen Ruhm als Zeichner. Die bildmäßig ausgearbeiteten autonomen Zeichnungen, meist in schwarzer Kreide mit Weißhöhungen auf blauem Papier, zeigen eine oder mehrere Figuren als Büste in lebhafter Pose und häufig mit genrehaften Zügen. Der enge Bildausschnitt und die differenzierte Wiedergabe der Lichtreflexe auf der Haut und den Haaren verstärken die lebensnahe Wirkung der Köpfe, die häufig auch als Serie gehängt die Wände schmückten. Bei zeitgenössischen Sammlern waren die „teste“ so begehrt, dass Piazzetta die große Nachfrage nicht befriedigen konnte. Dementsprechend zahlreich sind die Kopien und Nachempfindungen von Malern aus seinem Umfeld. Ihre Zuschreibung ist ein großes Problem. Nur die wenigsten Werke werden heute als eigenhändig anerkannt.

Das Kasseler Blatt, das ein männliches Modell zeigt, das von Piazzetta mehrfach für Heiligendarstellungen benutzt wurde,[1] unterscheidet sich von „teste di carattere“ durch den skizzenhafteren Charakter. Während dort die Brustpartie der Figuren stets fast bis zur unteren Blattkante detailliert ausgearbeitet ist, was die bildmäßige Wirkung der Stücke noch verstärkt, konzentrierte sich der Zeichner hier auf den Kopf und ließ den Hals in den Blattgrund auslaufen. Unterhalb des Kopfes im Vollprofil fügte er noch eine Hand ein, die vom unteren Bildrand abgeschnitten wird und sich, die Innenfläche nach außen gedreht, in vehementer Bewegung nach oben streckt. Diese Hand, die von einer anderen Figur zu stammen scheint, da sie weder von der Größe noch von der Drehung, in der sie begriffen ist, mit der Kopfdarstellung in Einklang zu bringen ist, gibt der Zeichnung zwar eine gewisse Dynamik und bindet den Kopf in die Fläche, gleichzeitig widerspricht sie jedoch der bildimmanenten Logik.

In der Haltung wie in der Haartracht stimmt der Kasseler Kopf mit dem Evangelisten Johannes auf dem Altarbild einer hl. Familie in S. Andrea in Cortona überein, für das Piazzetta 1739 den Auftrag erhielt und das 1743 aufgestellt wurde.[2] Während der Kopf bis in die Details dieser Heiligenfigur entspricht, kann die Hand nicht mit dem Gemälde in Einklang gebracht werden. Für diesen Befund bieten sich mehrere einander widersprechende Erklärungen an: Könnte es sich bei der Kopfdarstellung um eine eigenhändige Vorstudie Piazzettas für das Altarbild handeln und die Hand wurde später hinzugefügt, um die Zeichnung für den Verkauf interessanter zu gestalten? Oder ist das Blatt eher eine Nachzeichnung von einem Nachfolger Piazzettas? Die fehlende Abstimmung von Kopf und Hand, die sich in dieser Form nicht auf anderen Zeichnungen von Piazzetta nachweisen lässt, spricht dafür, in der Zeichnung das Werk eines Nachahmers zu sehen. Die rückseitige Faltenstudie ergibt dagegen auf einer Zeichnung, die von Anfang an für den Verkauf gedacht war, wenig Sinn.

[1] Vgl. Pallucchini 1956, Abb. 150; Bettagno/Da Pozzo/Knox u. a. 1983, Abb. 35, 96.

[2] Heute befindet sich das Gemälde in S. Filippo. Knox 1992, S. 158f., Taf. 10.

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 13.08.2009

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Rückseite GS 17134

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