Giovanni Francesco Barbieri, gen. il Guercino zugeschrieben

(Cento 1591 – Bologna 1666)

Marktszene, um 1620

Feder in Braun auf Papier, auf Karton kaschiert, 21,3 x 30,8 cm (linke untere Ecke ausgerissen und alt ergänzt)

Rückseitig mit brauner Feder bez.: I / O / N. 295 [?]

Provenienz:

George John Earl Spencer, Althorp (Lugt 1530)
Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17086

Literatur:

Auktionskat. T. Philipe 1811, Nr. 376 (als Guercino da Cento); Kat. Kassel 2000, S. 50, Nr. 17 (als Florentiner Meister, um 1630/40), Abb. S. 51

Die sicher ausgeführte Federzeichnung, die von Erich Herzog als eigenhändiges Werk von Annibale Carracci (1560–1609) erworben wurde, zeigt eine volkstümliche Jahrmarktszene in einem zum Hintergrund hin leicht ansteigenden Gelände. Links begrenzen Bäume das Bildfeld, rechts führt eine Häusergruppe den Blick des Betrachters in die Bildtiefe, wo weitere Gebäude und Menschen schemenhaft angedeutet werden. Im Vordergrund hat der Zeichner dagegen einzelne Personengruppen wie die beiden Bauern, die sich links am Fuße der Bäume ins Gespräch vertieft haben, ausgesprochen detailliert geschildert. Daneben bemüht sich eine Mutter um ihr Kind, Landleute schleppen ihre Erzeugnisse zum Verkauf herbei, ein Hund blickt aufmerksam in die Ferne und ein Marktschreier preist auf einem Podest seine Waren an, kurzum – der Zeichner beherrscht das figürliche Repertoire, das für derartige Szenen in Italien wie in den Niederlanden im 17. Jahrhundert gebräuchlich war.

Jürgen Lehmann, der das qualitätvolle Blatt im Jahr 2000 erstmals publiziert hat, wies es aufgrund stilistischer Kriterien, vor allem aber wegen des Sujets, dem Florentiner Kunstkreis zu, wo in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts häufiger volkstümliche Feste und Marktszenen genrehaften Charakters dargestellt wurden. Erinnert sei in diesem Zusammenhang nur an die berühmten Darstellungen des Jahrmarktes von Impruneta, die 1618 von Filippo D’Angeli, genannt Filippo Napoletano (um 1587–1629)[1] und 1620 von Jacques Callot (1592–1635)[2] geschaffen wurden. Gleichzeitig wies Lehmann darauf hin, dass vom Stil her auch andere Einflussbereiche wie Bologna oder Rom in der Zeichnung spürbar seien.[3]

1998 veröffentlichte Massimo Pulini eine Jahrmarktszene der Vatikanischen Museen, die weitreichende Übereinstimmungen mit der Kasseler Zeichnung zeigt (Abb. 1). Das bislang als „anonimo bambocciaro romano del XVII secolo“ geführte Gemälde wies er aufgrund stilkritischer Überlegungen Guercino zu. Das Tafelbild in der für Guercino ungewöhnlichen Technik Tempera auf Holz soll um 1616/18, also in sein Frühwerk, datieren und würde danach zu den frühesten Jahrmarktsdarstellungen in der italienischen Kunst überhaupt zählen.[4]

Die Neuzuschreibung des Gemäldes an Guercino blieb in der Forschung bislang ohne Reaktion. Pulini nahm seinen Fund zum Anlass, um das Bild und sein Sujet zum Angelpunkt der Ausstellung „Guercino, racconti di paese“ zu machen. Dabei ging er so weit, auch den dargestellten Ort eindeutig zu lokalisieren. Die Senke, in der das Fest stattfindet, soll das trockengelegte Flussbett des Reno in der Nähe von Cento, des Geburtsortes von Guercino, wiedergeben. Der Fluss wurde bereits 1459 umgeleitet, weil er häufig Überschwemmungen verursacht hatte. Die ruinösen gemauerten Bögen und Pfeiler, die auf dem Gemälde zu erkennen sind, sollen nach Pulini die Reste einer steinernen Brücke zeigen, die ehemals über den Reno führte. Auch wenn Guercino nachweislich häufiger in der Umgebung von Cento Landschaftszeichnungen ausgeführt hat, scheint diese Lokalisierung äußerst spekulativ, da die räumlichen Angaben vage bleiben und die angeblichen Brückenfragmente auf der Zeichnung fehlen.

Von dem ausgeführten Gemälde weicht die Zeichnung vor allem in der Disposition der Figuren ab, deren Vorbereitung ihr eigentlicher Zweck gewesen zu sein scheint. Stilistisch lässt sie sich durchaus mit anderen Landschaftszeichnungen von Guercino in Verbindung bringen, die allerdings ausnahmslos um ihrer selbst willen und nicht als Studien für Gemälde ausgeführt wurden. Nicholas Turner hält die Zuschreibung der Kasseler Zeichnung an Guercino für möglich, kann eine sichere Zuschreibung jedoch ohne Sichtung des Originals nicht vornehmen. Er setzt das Blatt allerdings zehn Jahre später als das Gemälde an, also nach 1625, so dass es sich um eine Nachzeichnung handeln müsste.[5]

Eine Bestätigung der Zuschreibung an Guercino liefert der Auktionskatalog der Sammlung Spencer, dessen Stempel das Blatt unten rechts zeigt. Die Sammlung, die auf John Spencer (1708–1746) zurückzuführen ist, wurde 1811 bei Th. Philipe in London auktioniert. Als „No. 376“ wird dort unter Guercino erwähnt: „An Italian fair, with numerous figures, a mounteband’s stage on the right side-the landscape very tastfull, masterly pen-CAPITAL.“[6]

[1] Florenz, Galleria Palatina.

[2] L. 478.

[3] Kat. Kassel 2000, Nr. 17.

[4] 113 x 180, Rom, Vatikanische Museen, Inv. Nr. 811 (Pulini 1998, S. 137–144; Kat. Cento 2001, Nr. 46; Kat. Mailand 2003, Nr. 24; Kat. Vicenza 2005, Nr. 93).

[5] Für seine briefliche Auskunft vom 20.08.2005 danke ich ihm herzlich.

[6] Auktionskat. T. Philipe 1811, S. 46, Nr. 376.

Veröffentlicht am 06.09.2008

Letzte Aktualisierung am 31.03.2009

Abb. 1

Abb. 1

Giovanni Francesco Barbieri, gen. il Guercino

Rom, Vatikanische Museen, Inv.Nr. Inv. Nr. 811

© Photographic Archives of the Vatican Museums (Foto: P. Zigrossi)

Veröffentlicht am 21.01.2009

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 1