Aurelio Luini zugeschrieben

(Mailand um 1530 – Mailand um 1592)

Predigt des Paulus, um 1560

Graphit, Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht auf braun getöntem Papier, alt montiert, 36,5 x 22 cm

Rückseitig oben links mit schwarzer Feder bez.: Campi

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 18163

Literatur:

unpubliziert

Die sorgfältig ausgeführte Zeichnung, die durch die Quadrierung als Ausführungsentwurf gekennzeichnet ist, zeigt den Apostel Paulus vor einer Architekturkulisse bei der Predigt inmitten seiner Zuhörer. Aus dem Zentrum der Darstellung nach links versetzt, hält der Apostel seine rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger beschwörend zum Himmel empor, während er sich mit der linken auf einen Stock stützt. Der kunstvoll um den Unterkörper und die Brust geschlungene faltenreiche Mantel, die ausgeglichene Statuarik und nicht zuletzt das Schrittmotiv, mit dem Paulus auf den Betrachter zuzuschreiten scheint, verleihen der Darstellung Monomentalität und Eindringlichkeit. Aufmerksam und konzentriert wendet Paulus sein Gesicht aus der Frontalität nach rechts einem der Zuhörer zu, der am rechten Bildrand im Profil erfasst wurde und im direkten Blickkontakt mit dem Apostel zu stehen scheint.

Der Zeichner hat in dem Blatt vielfältige Anregungen verarbeitet. So mahnt die machtvolle Erscheinung des Apostels in Haltung wie Gestik an Raffaels Schule von Athen. Auch die Profilfigur rechts im Vordergrund mit ihrem markant vorspringendem Kinn, der Knollennase und der altertümlich anmutenden bürgerlichen Tracht hat Luini nicht selbst erdacht, sondern mit geringfügigen Veränderungen in der Physiognomie und bei der Kopfbedeckung von einem Kupferstich übernommen, dem „Virgil im Korb“ (Abb. 1) von Lucas van Leyden (1494–1533) aus dem Jahr 1525.[1] Von diesem Stich stammt auch die Figur zwischen dem Apostel und der Profilfigur. Die Zeichnung ist damit ein weiteres Beispiel für die Bedeutung, die der Druckgraphik des Nordens als Inspirationsquelle für die italienischen Künstler des 16. Jahrhundert zukam.[2]

Die verwendeten Figurentypen sowie der Stil der Zeichnung mit der sorgfältigen, Ton in Ton ausgeführten Lavierung und den ausgeprägten Weißhöhungen spricht dafür, dass sie lombardischen Ursprungs ist. Darauf weist auch die rückseitige Zuschreibung an ein Mitglied der lombardischen Künstlerfamilie Campi hin. Giulio Bora, dem für seine freundlichen Auskünfte herzlich gedankt sei, hat die Zeichnung vor allem aufgrund des Figurentypus eindeutig dem Mailänder Maler Aurelio Luini zugewiesen.[3] Von Aurelio Luini sind bislang vor allem Federzeichnungen bekannt, für die eine fahrige, nervöse, zuweilen abrupte Strichführung charakteristisch ist.[4] Bildhaft ausgeführte Ausführungsentwürfe haben sich dagegen kaum erhalten. Am ehesten noch ist die vorliegende Zeichnung mit einem modello zu einer Heiligen Familie mit dem Johannesknaben aus der Sammlung Franchi vergleichbar, die in derselben Technik ausgeführt ist und auch im Faltenstil ähnliche Züge aufweist.[5] Während Giulio Bora diese Zeichnung ins Spätwerk von Aurelio Luini datiert, hat Jonathan Bober, Austin, mündlich für das Kasseler Blatt eine frühe Datierung vorgeschlagen, da die ausgeprägte Plastizität der Gewänder noch deutlich unter dem Einfluss von Bernardino Luini, dem Vater und Lehrer von Aurelio, stehe.

Mit einem ausgeführten Werk kann der Entwurf bislang nicht in Verbindung gebracht werden. Vermutlich war er Teil eines Freskenzyklus mit Szenen zum Leben des Apostels Paulus.

[1] Bartsch 136. Den Hinweis auf Lucas van Leyden verdanke ich Gregor Weber, Kassel.

[2] Vgl. dazu Gregori 1987; Faietti 1994; Cornelis/Filedt Kok 1998.

[3] E-Mail vom 02.04.2007: „Ma è la figura centrale che mi fa ritenere il disegno senz’altro della mano di Aurelio Luini cosi finito e reso come modello.“

[4] Zu Aurelio Luini als Zeichner vgl. vor allem Neilson 1987; Bora 1989; Tordella 2000.

[5] Feder und Pinsel in Braun, braun laviert, weiß gehöht, 53,5 x 88 cm (Giulio Bora in: Kat. Bologna 1997, Nr. 10 mit Abb.).

Veröffentlicht am 06.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.03.2009

Abb. 1

Abb. 1

Lucas van Leyden

Museumslandschaft Hessen Kassel, Inv.Nr. Inv. Nr. GS 20323

© Museumslandschaft Hessen Kassel (Foto: Gabriele Bößert, Ute Brunzel, Arno Hensmanns)

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 28.03.2009

Abb. 1