Paolo Veronese

(Verona 1528 – Venedig 1588)

Studien zu einer Fußwaschung der Apostel; rückseitig Studien zu einer hl. Anna und Maria, um 1586

Feder und Pinsel in Graubraun, graubraun laviert auf Papier, 15,5 x 21,6 cm (die beiden linken Ecken sowie die rechte obere Ecke sind ergänzt)

Unten links mit grauer Kreide bez.: studi di Paolo

Provenienz:

Giacomo Conte Durazzo, Genua; Else Lueder, Celle

GS 1123

Literatur:

Oehler 1953, Abb. 3; Neumann 1966, S. 317; Cocke 1973, S. 144, Abb. 12; Pignatti 1976, Nr. A 279, Abb. 955; Oehler 1979, S. 9; Cocke 1984, S. 281–282, Nr. 120, Abb. 120, 120v; Coutts 1986, S. 403, Nr. 120; Kat. Kassel 2000, S. 32, Nr. 8, Abb. S. 33

Bei der Skizze auf der Vorderseite handelt es sich, wie Jaromir Neumann 1966 herausgearbeitet hat, um einen ersten Entwurf für eine großformatige „Fußwaschung der Apostel“ (Abb. 1) nach Johannes 13, 1–17, die sich seit 1685 in der Galerie der Prager Burg befindet und nachträglich zu einer Folge von insgesamt zehn Gemälden mit Szenen aus dem Alten und Neuen Testament hinzugefügt wurde.[1] Der Auftraggeber und der ursprüngliche Bestimmungsort dieser umfangreichen Folge, die 1613 aus dem Besitz von Charles de Croy zunächst vom Herzog von Buckingham erworben und 1648 an Erzherzog Leopold Wilhelm verkauft wurde, sind bislang unbekannt. Heute sind die Gemälde auf Museen in Wien, Washington sowie auf die Prager Burggalerie verteilt.

Zur „Fußwaschung“ hat sich eine zweite Entwurfszeichnung in Berlin[2] (Abb. 2) erhalten, die der ausgeführten Version sehr nahekommt und gleichfalls aus der Sammlung Durazzo stammt. Ein Vergleich der beiden Zeichnungen bietet aufschlussreiche Einblicke in den sukzessiven Prozess der Bilderfindung. In beiden Zeichnungen widmete Veronese dem umgebenden Raum, der häufig in seinen Entwürfen zugunsten der Figuren vernachlässigt wird, erstaunlich viel Aufmerksamkeit. In der Kasseler Zeichnung ist die räumliche Konzeption noch nicht im Einzelnen geklärt. Mit groben Strichen gibt Veronese links einen Tresen, ein Schaubuffet sowie ein Fenster wieder. Rechts führte er einige Linien parallel zur unteren Bildkante fort, ohne dass ihre räumliche Funktion eindeutig zu bestimmen wäre. Möglicherweise handelt es sich um eine Eckbank, mit der der Raum ausgekleidet sein sollte.

Die grundsätzliche Raumdisposition wird in der Berliner Skizze beibehalten, allerdings präzisiert. Der Betrachter blickt in einen einfachen Kastenraum. Links ist die Situation mit Tresen, Schaubuffet und Fenster gleich geblieben. Decke, Rückwand und die durchfensterte rechte Wand sind jetzt eindeutig festgelegt. Vollkommen verändert hat sich jedoch die Anordnung der Figuren im Raum, bei der die Kasseler Zeichnung noch große Unsicherheiten aufwies. So führt Veronese in der Berliner Skizze eine lange Tafel ein, an der die Apostel ihr Mahl eingenommen haben. Die Szene mit der Fußwaschung rückt er von der rechten in die linke Bildhälfte, wo sie vor dem Tresen die Aufmerksamkeit des Betrachters stärker auf sich zieht und für einen Ruhepunkt in der figurenreichen Komposition sorgt. Für das ausgeführte Gemälde, das oben und unten stark beschnitten ist, während seitlich angestückt wurde, um es im Format an die Folge anzupassen, variierte Veronese noch einige Details. Viele der Figuren wurden aber unverändert von der Berliner Zeichnung übernommen.

Die Präzision, mit der Veronese selbst in seinen rasch hingeworfenen Federskizzen mit minimalem zeichnerischen Einsatz die Haltung der Figuren und ihre Konstellation zueinander unmissverständlich festlegte, zeigt sich auch bei der Rückseite der „Fußwaschung“, in der sich Veronese mit zwei Themen, einer „Madonna mit hl. Anna“ und der „Anbetung der Hl. Drei Könige“, beschäftigte. Diese Präzision garantierte, dass die Skizzen selbst bei komplexen, figurenreichen Kompositionsanordnungen nicht nur dem Meister selbst bei der Umsetzung seiner Ideen auf die Leinwand dienlich waren, sondern auch von den Mitarbeitern seiner Werkstatt verstanden werden konnten. Wie sich anhand der Rückseite der „Fußwaschung“ belegen läßt. griffen seine Nachfolger auf den Motivschatz, den die Zeichnungen der Werkstatt zur Verfügung stellten, auch über seinen Tod hinaus zurück.

Der „Madonna mit hl. Anna“ gilt hier das hauptsächliche Interesse des Zeichners. Mit groben Federstrichen umriss er rechts der Blattmitte ein erstes Mal die Anordnung der beiden Frauengestalten. Auf dem Schoß ihrer Mutter thront Maria noch als Aktfigur zum besseren Verständnis ihrer Körperproportionen. Zwei Engel flankieren als Halbfigur die beiden Frauen. Mit raschen Strichen gab Veronese die Grenzen des Bildfeldes an. Anschließend skizzierte er die Komposition in der linken Blatthälfte in größerem Maßstab und entsprechend detaillierter ein zweites Mal. Dabei präzisierte er die Haltung Mariae, widmete sich ihrer Kleidung, verwandelte die Engel in Ganzfiguren und deutete Lichtstrahlen an, die vom Himmel auf Anna und Maria herabfallen. Auch bei dieser zweiten Skizze gab Veronese die Grenzen des Bildfeldes durch einige wenige Striche an. Durch eine Lavierung zeichnete er den zweiten Entwurf vor dem ersten aus und verlieh der Skizze Räumlichkeit. Abschließend widmete er sich noch zwei Details, dem Wurf des Gewandes der Muttergottes im unteren Bereich, wo sich der Stoff auf dem Boden staut, sowie dem Flügel eines der Engel, mit dem er offensichtlich unzufrieden war und den er deshalb noch einmal in einer anderen Haltung erprobte.

Von Veronese selbst ist kein Gemälde zu diesem Entwurf überliefert. Sein ältester Sohn und enger Werkstattmitarbeiter Gabriele Caliari (1568 –1631) schuf jedoch zwei Altarbilder, die auf der Skizze basieren. Das eine der Bilder befindet sich in der Pfarrkirche zu Liettoli bei Padua, wird um 1590 datiert und ist Gabriele aufgrund einer Signatur sicher zuweisbar.[3] In der Anordnung der Figuren folgte Gabriele weitgehend der Skizze des Vaters, fügte jedoch als Hintergrund eine Kolonnade ein und darüber Gottvater mit Taube. Die zweite, oben leicht beschnittene Version in den Musei Capitolini[4] konzentriert sich auf die bei Veronese vorgesehenen Figuren.

Mit der „Anbetung der Hl. Drei Könige“, die Veronese rechts unten auf demselben Blatt skizzierte, hat er sich in seinem malerischen Werk häufiger auseinander gesetzt. Keines dieser Bilder kann jedoch mit dieser Skizze in Verbindung gebracht werden. Richard Cocke hat zwar auf eine Anbetung der Veronese-Werkstatt in Schweizer Privatbesitz[5] aufmerksam gemacht, wo, wenn auch seitenverkehrt, zumindest Pferd, Führer und ein Kniender in ähnlicher Gruppierung wiederauftauchen, eine direkte Beziehung beider Werke ist jedoch nicht zwingend.

Bislang ungeklärt ist die Figur eines Hirten mit Schafen, die Veronese über der Anbetung darstellte. Soll es sich um Joseph handeln, den Veronese aus Platzgründen nicht mehr neben Maria unterbringen konnte und deshalb darüber anordnete, oder beschäftigte er sich parallel noch mit einer Anbetung der Hirten, von der hier ein Detail erdacht wurde?

[1] Klauner 1991, S. 107f.

[2] Feder in Braun, braun laviert, 15,5 x 20,4 cm, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv. Nr. KdZ 26385 (Cocke 1984, Nr. 119 mit Abb.).

[3] Crosato Larcher 1964 mit Abb.; Huber 2005, S. 115f., Abb. 151.

[4] Inv. Nr. 152 (Pignatti 1976, Nr. A279; Huber 2005, S. 116, Abb. 152).

[5] Pignatti 1976, Nr. A 306, Abb. 972; Cocke 1984, S. 282.

Veröffentlicht am 10.09.2008

Letzte Aktualisierung am 31.03.2009

verso

Rückseite GS 1123

Abb. 1

Abb. 1

Paolo Veronese

Prag, Burg, Inv.Nr. ohne Inv. Nr.

© Prag, Burg

Veröffentlicht am 06.02.2009

Letzte Aktualisierung am 14.08.2009

Abb. 2

Abb. 2

Paolo Veronese

Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett, Inv.Nr. Inv. Nr. KdZ 26385

© bpk Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte, Berlin

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

verso


Abb. 1


Abb. 2