Antonio Molinari

(Venedig 1655 – Venedig 1704)

Auffindung des Moseskindes (?); rückseitig weitere Skizze zu einer ovalen Komposition, um 1690

Schwarze Kreide, Rötel, Feder in Braun, braun laviert auf braunrosa getöntem Papier, alt montiert, 10,5 x 19,4 cm (Ecken beschnitten, oben ausgerissen)

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17125

Literatur:

Kat. Kassel 2000, S. 96, Nr. 41 (als Giovanni Antonio Pellegrini), Abb. S. 97

Die kleinformatige Skizze in Rötel und brauner Feder zeigt den charakteristischen lockeren Zeichenstil des Venezianers Antonio Molinari.[1] Wie bei den meisten seiner Entwürfe skizzierte Molinari zunächst mit einem weichen Zeichenmaterial – mit schwarzer Kreide oder, wie in diesem Fall, mit Rötel – die Komposition. Anschließend verlieh er dem auf den ersten Blick wirren Liniengefüge mit der Feder Struktur, indem er die Konturen und wichtigsten Binnenlinien nachzog und mit dem Pinsel partiell eine Lavierung auftrug. Die Diskrepanz zwischen den Rötel- und den Federstrichen, die meistens geringfügig versetzt einen Gegenstand umkreisen, der unterschiedliche Charakter der gewählten Zeichenmaterialien und ihre differierende Farbigkeit verleihen der Zeichnung mit der lockeren Strichführung ihre Lebendigkeit und atmosphärische Dichte.

Im Gegensatz zu anderen Künstlern haben sich von Molinari keine minuziös ausgeführten Ausführungsentwürfe oder Detailstudien zu Gemälden erhalten. Selbst die Zeichnungen, die aufgrund einer Quadrierung zur Ausführung vorgesehen waren, weisen dieselben rasch hingeworfenen, die Formen nur grob, aber dennoch präzise umreißenden Federstriche auf. Gerade im direkten Vergleich mit den Gemälden, die sie vorbereiten, zeigt sich die enorme Prägnanz der Zeichnungen Molinaris bei gleichzeitiger äußerster Reduktion und Freiheit des Strichs.[2]

Die Kasseler Zeichnung konnte bislang nicht mit einem Gemälde verbunden werden. Die querovale, bereits in der Rötelzeichnung vorgegebene Form und die Konzentration auf einige wenige Figuren sprechen dafür, dass es sich um einen Entwurf für eine Supraporte oder für ein ovales Deckenfeld handelt. Diese These unterstützt die Rückseite des Blattes, die kürzlich von der alten Montierung freigelegt wurde. Sie zeigt gleichfalls ein querovales Bildfeld und legt nahe, dass es sich um Entwürfe für einen Zyklus handelt. Möglicherweise waren ehemals mehrere Entwürfe untereinander auf einem größeren Blatt dargestellt. Dafür spricht, dass die Darstellung auf der Rückseite im oberen Bereich beschnitten ist. Auf der Vorderseite befindet sich an dieser Stelle ein horizontal geführter Rötelstrich, der die obere Umfassungslinie eines weiteren Ovals gebildet haben könnte.

Da die Rückseite noch skizzenhafter angelegt ist als die Vorderseite, konnte das dargestellte Thema bislang nicht identifiziert werden. Auch das Sujet der Vorderseite ist noch nicht eindeutig bestimmt. Jürgen Lehmann schlug „Amor und die drei Grazien“ oder die „Auffindung des Moseskindes“ vor.[3] Molinari beschränkte die Szene auf drei Protagonisten, die er kreisförmig um das Kind anordnete. Alle drei wenden ihr Gesicht dem Kind zu, alle gemeinsam halten es empor. Die Beschränkung auf wenige das Format füllende Figuren und ihre Ausrichtung auf das Kind in ihrer Mitte verleihen der dargestellten Szene eine besondere Eindringlichkeit und Intimität, die noch durch die warme Farbigkeit des Rötel und der Lavierung unterstrichen wird. Dabei sprechen die nur mit einem Tuch bedeckte, vom unteren Bildrand abgeschnittene Rückenfigur, die den beiden Frauen das Kind zu übergeben scheint, sowie die horizontalen Rötelstriche links der Figur, die Wasser andeuten könnten, dafür, dass hier die alttestamentarische Szene der Auffindung des Moseskindes dargestellt ist, die in der venezianischen Malerei des 17. und 18. Jahrhunderts sehr beliebt war. Häufiger finden sich dort im Vordergrund Figuren, die das Kind aus dem Wasser emporreichen.[4]

[1] Die Zuschreibung des Blattes an Molinari hat Sonja Brink, Düsseldorf, freundlicherweise bestätigt.

[2] Vgl. Kat. Düsseldorf 2005, S. 22.

[3] Kat. Kassel 2000, Nr. 41.

[4] Vgl. Johann Liss, Auffindung des Moses, Lille, Musée des Beaux-Arts (Pallucchini 1981, Abb. 407); Antonio Balestra, Auffindung des Moses, Kunsthandel (Betti 2003, Abb. 2).

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 31.03.2009

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Rückseite GS 17125

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