Nachfolge Francesco Guardi ?

(Venedig 1712 – Venedig 1793)

Studien zu einem Bischof, um 1780

Feder und Pinsel in Braun, braun laviert auf braun getöntem Papier, 26,8 x 17,7 cm

Oben links und unten mittig nicht identifizierbarer Prägestempel

Provenienz:

Nachlass Erich Herzog, Kassel

GS 17112

Literatur:

unpubliziert

Die Kasseler Skizze zweier Bischofsfiguren scheint auf den ersten Blick zweifelsfrei Francesco Guardi, dem berühmten venezianischen Vedutisten, zuzuschreiben zu sein und zu seinen weniger bekannten Werken religiöser Thematik zu gehören. Dem Anschein nach werden auf dem Blatt zwei erste Ideen zu einem hl. Nikolaus vereint: links oben ist der Heilige mit dem Bischofsstab in der rechten und einem Buch mit den drei Goldkugeln in der linken Hand dargestellt, rechts darunter mit einem Bettler zu seinen Füßen, dem er ein Almosen reicht. Den Bischofsstab hält er diesmal in der linken Hand.

Francesco Guardi hat sich mit den beiden Nikolausfiguren, die er hier auf dem Kasseler Blatt zusammenfügt, mehrfach in seinem zeichnerischen Werk, allerdings stets auf separaten Blättern auseinandergesetzt. So taucht der obere Entwurf in drei Zeichnungen des Museo Correr in Venedig (Abb. 1) wieder auf. Das erste dieser Blätter[1] kombiniert den hl. Nikolaus mit verschiedenen anderen Skizzen etwa zu einem hl. Josef, der das Christuskind in den Armen hält, oder kleinformatigen Figurenstudien, sog. Macchietti, in einem angedeuteten architektonischen Kontext. Beziehungen zu ausgeführten Werken von Guardi oder seinen Zeitgenossen konnten bislang nicht hergestellt werden.

Die anderen beiden Vergleichsstücke aus dem Museo Correr zeigen den Heiligen jeweils als Einzelfigur vor einer Architektur.[2] Im Vergleich zu dem Kasseler Blatt sind die Zeichnungen ausgearbeiteter. Ist dort etwa der Kopf des Heiligen mit der Bischofmütze und dem langem Bart noch ein Gewirr von gegenständlich kaum lesbaren Strichverdichtungen oder -auflockerungen, so sind hier die Gesichtszüge bereits detaillierter erfasst. Versucht man eine Chronologie herzustellen, so scheint die Kasseler Zeichnung zunächst am Anfang des Entwurfsprozesses gestanden und die späteren Skizzen scheinen die dort erstmalig niedergelegte Idee weiterentwickelt zu haben. Das dritte Blatt variiert dabei die Haltung des Bischofs und dreht ihn von der leichten Schrägansicht in die Frontalität.

Die ältere Forschung hat die drei Skizzen des Museo Correr in Beziehung gesetzt zur sog. Standardo di Miramare, einer Fahne, die auf Vorder- und Rückseite jeweils einen hl. Nikolaus zeigt, das eine Mal stehend mit dem Segensgestus, das andere Mal auf einer Wolke kniend mit weit ausgebreiteten Armen.[3] Da die Fahne, die von Giovanni Antonio Guardi, dem Bruder von Francesco, ausgeführt worden sein soll, um 1750 angesetzt wird, wurden auch die Zeichnungen in diese Zeit datiert, obwohl keine direkten motivischen Übereinstimmungen festzustellen sind. Diese frühe Datierung ist jedoch unvereinbar mit dem ausdrucksstarken Stil einer weiteren Zeichnung im Museo Correr (Abb. 2), die in etwas detaillierterer Form den hl. Nikolaus mit Bettler wiedergibt, wie er rechts unten auf dem Kasseler Blatt erscheint.[4] Diese Zeichnung wurde aus stilistischen Gründen stets ins Spätwerk, nach 1780, datiert. Obwohl schon Pignatti die Beziehung zur Standarte von Miramare in Zweifel gezogen hat und die drei Skizzen zur oberen Bischofsfigur der Kasseler Zeichnung gleichfalls in die 80er Jahre setzte, betonte auch er noch, dass diese Skizzen unabhängig von dem Entwurf des „Bischofs mit Bettler“ entstanden seien. Diese Auffassung scheint das Kasseler Blatt zunächst zu widerlegen, indem es die beiden Varianten auf einem Blatt zusammenführt und ihre gleichzeitige Entstehung nahelegt.

Aufgrund stilistischer Schwächen und Unstimmigkeiten hat Hugo Chapman, London, jedoch grundsätzliche Zweifel an der Eigenhändigkeit der Kasseler Zeichnung geäußert. Francesco Guardi war ein ausgezeichneter Zeichner, dessen freie, rasch ausgeführte Federskizzen mit ihrer charakteristischen aufgelösten Linienführung dennoch ausgesprochen präzise ihren jeweiligen Bildgegenstand erfassen. Diese Präzision lässt die Kasseler Zeichnung vermissen. Zudem orientiert sie sich ohne jegliche motivische Variation in der Linienführung so eng an den beiden Blättern des Museo Correr, das es sich wohl eher um Nachempfindungen denn um eigenhändige Ideenskizzen Guardis handelt wird.

[1] Feder in Braun, 17,4 x 14,8 cm, Venedig, Museo Correr, Inv. Nr. 1221 (Pignatti 1983, Nr. 533).

[2] Feder in Braun, 18,6 x 12,7 cm, Venedig, Museo Correr, Inv. Nr. 4623 (Pignatti 1983, Nr. 534); schwarzer Stift, Feder in Braun auf graublauem Papier, 22,2 x 13,5 cm, Venedig, Museo Correr, Inv. Nr. 7301 (Pignatti 1983, Nr. 535).

[3] Triest, Castello di Miramare (Morassi 1973, Nr. 53).

[4] Schwarzer Stift, Feder in Braun, braun laviert, 14,2 x 7,6 cm, Venedig, Museo Correr, Inv. Nr. 7300 (Pignatti 1983, Nr. 536).

Veröffentlicht am 11.09.2008

Letzte Aktualisierung am 14.08.2009

Abb. 1

Abb. 1

Francesco Guardi

Venedig, Museo Correr, Inv.Nr. Inv. Nr. 1221

© Venedig, Museo Correr

Veröffentlicht am 05.02.2009

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 2

Abb. 2

Francesco Guardi

Venedig, Museo Correr, Inv.Nr. Inv. Nr. 7300

© Venedig, Museo Correr

Veröffentlicht am 05.02.2009

Letzte Aktualisierung am 10.02.2009

Abb. 1


Abb. 2